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den Boden aufschliessen und die Bestandtheile sich aneignen, welche das Halmgewächs zur Samenbildung bedarf. In den Wurzelrückständen dieser Pflanzen, in den Bestandtheilen des Krauts, der Wurzeln und der Knollen, welche der Landwirth den obersten Schichten der Ackerkrume in der Form von Mist zuführt, hat er die zu einem oder mehreren vollen Erträgen mangelnden Kornbestandtheile ergänzt und concentrirt; was davon unten und überall war, ist jetzt oben. Der Klee und die Futtergewächse waren nicht die Erzeuger der Bedingungen der höheren Kornerträge, so wenig wie die Lumpensammler die Erzeuger der Bedingungen für die Papierfabrikation sind, sondern einfach die Sammler derselben.

Der amerikanische Farmer raubt sein Feld aus ohne weitere Umstände; wenn es ihm nicht reichlich genug mehr giebt, so wandert er mit seinen Pflanzen aus auf ein frisches Feld, denn er hat Feld genug und zum vollständigen Ausrauben keine Zeit. Die moderne intensive Landwirthschaft ist der Raub mit Umständen, das letzte Stadium der Raubwirthschaft.

Vor dem dreissigjährigen Krieg war die Bevölkerung Deutschlands nicht kleiner als jetzt. Jedes Individuum verbrauchte damals naturgesetzlich zum Athmen und Arbeiten so viel Sauerstoff und Kraft wie diess heute geschieht; die damalige Landwirthschaft producirte nach dem Raubsystem des amerikanischen Farmers eben so viel kohlenstoff- und stickstoffhaltige Nahrungsmittel, nur nahm man sich mehr Zeit dazu. Man hatte Jahre des Mangels, und dieser war in seinen Wirkungen empfindlicher als er heute ist, weil eine Ausgleichung durch Zufuhr des Fehlenden aus Amerika, aus Ungarn und der Fruchtkammer des südlichen Russland nicht statt hatte; aber in den gewöhnlichen Jahren hatte man Ueberfluss. Man baute das eine Jahr Winterkorn, das andere Jahr Sommerkorn und Stoppelrüben, das dritte Jahr liess man das Feld ausruhen; einen andern Wechsel als mit Hülsenfrüchten kannte man nicht. Die Stallfütterung, was man heute so nennt, war unbekannt. Für die Pferde lieferte die Wiese Winterfutter; das Rindvieh, die Schafe suchten sich ihre Nahrung auf den Gemeindeweiden, auf den Brachäckern und im Wald. Das landwirthschaftliche System von damals war das System des Mannes, der jeden Tag einen Gulden einzunehmen hatte, und der die Gulden in einer Woche zusammenkommen liess, um sie in der zweiten auszugeben. Am Sonntag hatte er dann sieben Gulden, und er konnte jetzt am darauf folgenden Montag vier, am Dienstag drei, am Mittwoch ebenfalls drei Gulden ausgeben und eine Menge Dinge kaufen, die er mit der täglichen Ausgabe eines Guldens nicht hätte kaufen können.

Durch dieses System der Brachwirthschaft wurde die Fruchtbarkeit des Ackers nicht gesteigert, d. h. die Bedingungen zur Erzeugung der Feldfrüchte nicht vermehrt, sondern vortheilhafter in der Zeit verwendet. Eine Bereicherung des Feldes ohne Zufuhr ist unmöglich. Es war noch ein Vorrath von wirksamen Bodenbestandtheilen im Felde, aber in einem für die Pflanzen nicht zugänglichen oder aufnehmbaren Zustand. Man wartete in der Brache die Zeit ab, wo ein Theil des Vorraths aufnehmbar geworden war, und machte die Ernte in dieser Weise lohnend;

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_426.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)