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durch die Brache wird der Ueberschuss in der Einnahme nicht erworben, sondern erspart; man raubt sein Feld vortheilhafter aus, indem man sich dazu Zeit nimmt. Die Zeit, so meinte man, kostet kein Geld, und den Dung erspart man. Dieser Vortheil war Allen klar.

Diese Wirthschaft dauerte bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der Bauernstand verfiel in Armuth und Elend, die Production der Felder nahm ab.

In dem siebenzehnten und im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts blühte noch an unzähligen Orten in Deutschland der Weinbau; man hatte Weinberge auf Feldern, auf denen jetzt kein Rebstock mehr wächst; nur die grossen Zehentkeller sind an manchen Orten noch da und legen Zeugniss ab von dem Umfang dieser Cultur. Mit den Weinbergen wurde die Raubwirthschaft am frühesten fertig, denn der Weinberg producirt keinen Dünger, und als der Feldbau gewahr wurde, dass er selbst den äussersten Mangel daran hatte, da ging der Weinbau wie ein Licht aus, dem der Oelzufluss fehlt.

„Ausser schlechtem, saurem Wiesenfutter hatte der Landwirth kein anderes Winterfutter für das Vieh als etwas weisse Rüben, Möhren, Kraut und Erdbirnen, von allem aber nicht viel, weil auf den Feldern von selbst nicht mehr wachsen wollte. Dieses sparsame Futter wurde den Winter über, so weit es langte, noch sparsamer eingebrüht, und wenn es alle war, musste sich das Vieh mit Gersten-, Hafer- und Erbsenstroh begnügen. Dagegen waren Milch, Butter und Käse schlecht und wenig. Aengstlich wartete man das Frühjahr ab, um ein bischen Weizenschrappe zu bekommen und das Vieh, wenn das Gras etwa einen Daumen hoch gewachsen war, auf die Weide gehen zu lassen, von der es eben so hungrig wieder zurück kam als es hinausgegangen war, und aussah wie die magern Kühe, die Pharao im Traum gesehen hatte.“ So beschreibt Johann Christian Schubert, der vom Kaiser Joseph II. wegen seiner Verdienste um die Einführung des Kleebaues zum Ritter des heiligen römischen Reichs von dem Kleefeld ernannt worden war, den damaligen Zustand.

Von dieser Zeit datirt der deutsche Kleebau. Es war ein Jubel durch das ganze Reich. Die Bauern, welche Klee pflanzten, bekamen silberne Kleethaler zum Umhängen, und der seit 2000 Jahren verlassene Mistcultus gewann wieder Boden; in landwirthschaftlichen Lehrkanzeln errichtete man Altäre für den altrömischen Mistgott Sterculius[1], und seine Priester opfern ihm noch heute. Aber der Mistgott war launenvoll; er hatte eine Vorliebe für gewisse Felder, aber nur eine Zeit lang, und er ist jetzt nach hundert Jahren ungütig und hart geworden. Mit allem Weihrauch ringt man ihm die früheren reichen Gaben nicht mehr ab, und gerade auf den Feldern, welche er am meisten begünstigte, lässt er jetzt keinen Mist mehr wachsen; darum bitten seine Priester um ein kleines Stückchen von dem Stein der Weisen zum Opfer für den Mistgott, um ihn zu vermögen, fernerhin Mist d. h. Klee auf Feldern wachsen zu machen, auf denen er nicht mehr gedeihen will. Als nun zu dem

  1. Sterculius oder Sterquilinus, nach Einigen ein Beiname des ländlichen Saturnus (die Erläuterung von Virgils Georgica durch Voss, 74).
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_427.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)