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Klee noch der Gyps und Mergel und die Kartoffeln kamen, da glaubte man, die Noth habe für alle Zukunft ein Ende. Nach der Raubwirthschaft, ohne und dann mit Geduld, entwickelte sich jetzt der Raub nach dem System eines am Rhein bekannten Räubers, der nur die Reichen beraubte; ihnen nahm er die Thaler ab, den Armen schenkte er zuweilen einen Pfennig, und schnitt ihnen nur zum Spass die Hosenknöpfe ab.

Der Reichthum der Reichen war nach seinem System den Armen abgeraubt, und Gerechtigkeit müsse einmal in der Welt sein.

In dieser Weise verfährt unser intensiver Landwirth. Er nimmt in dem Korn dem (reichen) Klee die Thaler ab, die dieser von dem (armen) Feld in Pfennigen empfing, und bildet sich ein, dass dieser Raub ewig dauern werde, denn sein Lehrer lehrte ihn, dass sein Feld die Eigenschaft habe Pfennige zu schwitzen.

Die Folgen dieser Raubwirthschaft nach dem System des edlen Räubers sind klar, offenkundig und liegen vor Jedermanns Augen; niemals ist der Düngermangel grösser gewesen; alle mit so viel Erfolg gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eingeschlagenen Wege und Mittel, die Production der Felder in derselben wunderbaren Weise zu steigern wie damals, haben dieselbe Wirkung nicht mehr. Der Gyps macht jetzt den Klee nur wässeriger, vermehrt aber den Klee-Ertrag nicht mehr; das gemergelte Land ist unfruchtbarer als vorher; ohne die Waldstreu würde der Getreidebau in vielen sonst fruchtbaren Gegenden längst, wie der Weinbau, verschwunden sein. Anstatt des Bodens raubt man dort den Wald aus, so lange es eben geht! „Wenn ihr Klee bauen und meiner Anweisung genau folgen werdet“, sagt der gute Schubert zu seinen Bauern, „dann werdet ihr den reichlichen Segen Gottes mit fröhlichem Herzen lobpreisen können; eine Regel habt vor Augen, und ich ermahne euch ein- für allemal, sie zu befolgen: bauet niemals Klee mit Verlust des Getreides, sondern allemal nur in der Brache, damit ihr ihn umsonst habt, und schafft also die Brache ab.“

Damals kannte man keine andere Wirthschaft als die Dreifelderwirthschaft. In zwölf Jahren baute man achtmal Korn und viermal Klee. Wohin, wohin ist die schöne Zeit, wo man von demselben Felde, in drei Jahren zwei Kornernten bekam und wo man den Klee umsonst hatte! Die heutige intensive Wirthschaft producirt in zwölf Jahren nur sechs Kornernten. Auf den guten Feldern in Mecklenburg erntet man in neun Jahren nur viermal Korn. Die ursprüngliche Fläche, welche zur Concentration der Nahrung für die Halmgewächse genügte, reicht also heutzutage nicht mehr aus; sie musste, um den Vorrath zu ergänzen, vergrössert werden. Man bebaut heutzutage ebensoviel und mehr Feld zur Nahrung für das Vieh als für den Menschen; und der menschliche Sinn ist so verkehrt geworden, dass man dies für eine Verbesserung hält!

So lange man, anstatt über die Bedingungen der Cultur aller Gewächse nachzudenken, sie aufzusuchen und ihre Anwendung zu lernen, das Heil der Landwirthschaft in dem „Mist“, in einem an sich unbestimmten, unbestimmbaren veränderlichen Ding sucht, ist kein Fortschritt der Landwirthschaft möglich. Ich selbst täusche mich darüber nicht, dass die Wissenschaft noch auf lange hin tauben Ohren predigen wird. So

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_428.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)