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lange es noch so Viele giebt, denen die Beraubung ihrer eigenen Felder hohe Erträge und ein reichliches Einkommen gewährt, ist an einen rationellen Betrieb nicht zu denken. Das Feld ist und bleibt ihre Kuh, die ihnen Milch giebt, aber eine Kuh, die sie mit ihrem eigenen Fleisch, das sie ihr von den Rippen schneiden, füttern, und ehe das Licht durch das hohle Skelet in ihre Augen fällt, werden sie ihrer thörichten Wirthschaft nicht bewusst; der Raub liegt allzutief in der innern Menschennatur begründet, und nichts scheut der Mensch so sehr als den Erwerb durch geistige Anstrengung; er ist und bleibt in vielen Dingen ein Kind, dem die allergrösste Pein das Lernen und die Schule ist; der einzige Zwang ist die Noth; sie wird früh genug kommen.

Die regellose Beraubung unserer Wälder führte mit dem Herannahen ihrer Gefahren für den Staat und die Gesellschaft zu einer bewunderungswürdig geordneten Forstwirthschaft. Wäre der Wald in eben so viel Parcellen getheilt und in eben so viel thörichten Händen wie das Ackerfeld, so würden wir längst kein Holz mehr haben; täglich rückt uns die Gefahr immer näher, durch die Ausrottung der Chinabäume eines der unschätzbarsten Arzneimittel für die menschliche Gesellschaft zu verlieren, und es bleibt uns nur der Trost, dass mit dem allerletzten Baum die rationelle Cultur derselben beginnen wird, die uns nach einer Reihe von Jahren für immer damit versorgt[1].

Die Erfindungen der schriftstellernden Landwirthe, um die Augen der Landwirthe und ihre eigenen dem Licht der Wissenschaft zu verschliessen und ihrem Verstand die Gesetze der Ernährung der Pflanzen unzugänglich zu machen, sind höchst merkwürdig und die Geschichte der Landwirthschaft wird ihnen sicherlich das Andenken bewahren. Noch heute betrachtet es der Wetterauer Landwirth, und mit Recht, nicht nur als einen Nachtheil, sondern als eine Schande, seinen Dünger zu verkaufen; es war eine Ehre, recht viel auf seinen Feldern zu erzeugen; man lehrte ihn, es sei ein unbegreifliches Etwas in dem Mist, was nur im Mist und nicht in anderen Dingen stecke; die Asche, der Gyps seien keine Nahrungsmittel, sondern eine Art von Fuhrmannspeitschen, die ganz zweckmässig dienen, um die Thätigkeit der faulen Pflanzen anzuregen, und auch heutzutage dienen die Bodenbestandtheile im Guano, im Knochenmehl noch immer nicht zur Ernährung, sondern es sind nur Beidünger, Hülfsmittel um mehr Mist zu erzeugen.

  1. Man behauptet, dass unsere intensiven Landwirthe die Kunst besässen, demselben Stück Land mehr Korn abzugewinnen, als dies im siebzehnten Jahrhundert geschah; ich habe gerechte Bedenken und halte es für möglich, dass eine genaue statistische Untersuchung das Gegentheil erweisen dürfte, und wer ein Menschenalter zurückblicken kann, der erinnert sich vielleicht wie ich, dass eine Menge Land jetzt bebaut ist und Früchte liefert, das früher öde lag (ein Vortheil, den uns die Wechselwirthschaft ohne Zweifel verschaffte); es fragt sich ob die Mehrproduction, wenn sie wirklich besteht, nicht in der vergrösserten früchtetragenden Feldoberfläche gesucht werden muss. Ein ausgezeichneter amerikanischer Nationalökonom, Carey, versicherte mich, dass man nach genauen Erhebungen im Jahre 1850 (von den Times Commissioners) ermittelt habe, dass damals England 2 Mill. Quarter Korn weniger producirte, als dies nach Arthur Young im Jahre 1774 geschah. Ich wage diese Thatsache, welche sprechend genug wäre, nicht zu verbürgen.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_429.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)