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haben. In England findet diese Trennung allmählich statt, und wenn die deutschen Landwirthe das Einmaleins, nach und nach wie man hoffen muss, gelernt haben werden, so ist zu erwarten, dass man auch bei uns dazu kommen wird. So legt man eine chemische Fabrik nicht überall an, sondern nur da, wo die Localitäten gewisse natürliche Vortheile bieten, und die Landwirthschaft ist zuletzt eine Industrie wie eine andere.

In China weiss man von der Grundlage der deutschen Landwirthschaft nichts: ausser der Gründüngung kennt und schätzt man keinen andern Mist als die Ausleerungen der Menschen; was der chinesische Landwirth sonst noch zur Erhöhung seiner Erträge anwendet, ist in Quantität und Wirkung verschwindend gegen die Wirkung der Menschenexcremente.

Es ist ganz unmöglich sich bei uns eine Vorstellung von all der Sorgfalt zu machen, welche der Chinese anwendet, um den Menschenkoth zu sammeln; ihm (so berichten Davis, Fortune, Hedde u. a.) ist es der Nahrungssaft der Erde, und verdankt dieselbe ihre Thätigkeit und Fruchtbarkeit hauptsächlich diesem energischen Agens.

Der Chinese, dessen Haus noch immer, was es ursprünglich gewesen sein mag, ein Zelt ist, nur von Stein und Holz, weiss nichts von Latrinen wie sie bei uns sind, sondern er hat in dem ansehnlichsten und bequemsten Theil seiner Wohnung irdene Kufen oder auf das allersorgfältigste ausgemauerte Cisternen, und der Begriff der Nützlichkeit beherrscht so völlig seinen Geruchsinn, dass, wie Fortune (The Tea districts of China and India. Vol. I., p. 221) erzählt: „dasjenige was in jeder civilisirten Stadt Europa’s als ein unerträglicher Missstand (nuisance) angesehen ist, dort von allen Classen, reich und arm, mit dem äussersten Wohlbehagen (complaceney) betrachtet wird, und ich bin gewiss,“ fährt er fort, „dass nichts einen Chinesen mehr in Erstaunen setzen würde, als wenn irgend einer sich über den Gestank beklagte, der sich von diesen Behältern verbreitet.“ Sie desinficiren diesen Dünger nicht, aber sie wissen vollkommen, dass derselbe durch den Einfluss der Luft an treibender Kraft einbüsst, und suchen ihn sorgfältig vor Verdunstung zu schützen.

Nach dem Handel mit Getreide und Nahrungsmitteln ist kein Handel ausgedehnt wie der mit diesem Dünger. In langen, plumpen Fahrzeugen, welche die Strassenkanäle durchkreuzen, werden diese Stoffe täglich abgeholt und in dem Lande verbreitet. Ein jeder Kuli, welcher des Morgens seine Producte auf den Markt gebracht hat, bringt am Abend zwei Kübel voll von diesem Dünger an einer Bambusstange heim.

Die Schätzung dieses Düngers geht so weit, dass Jedermann weiss, was ein Tag, ein Monat, ein Jahr von einem Menschen abwirft, und der Chinese betrachtet es als mehr denn eine Unhöflichkeit, wenn der Gastfreund sein Haus verlässt und ihm einen Vortheil verträgt, auf den er durch seine Bewirthung einen gerechten Anspruch zu haben glaubt. Von fünf Personen schätzt man den Werth der Ausleerungen auf zwei Teu für den Tag, was aufs Jahr 2000 Cash beträgt, ungefähr 20 Hectoliter zu einem Preis von sieben Gulden.

In der Nähe grosser Städte werden diese Excremente in Poudrette verwandelt, die in der Form von viereckigen Kuchen, den Backsteinen ähnlich, in die weitesten Entfernungen hin versendet werden; sie werden

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_451.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)