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kommen kann; sie hat die Ergebnisse ihrer Analysen den Landwirthen vorgelegt und gezeigt, dass die Pflanzen, der Dünger und der Boden gewisse Bestandtheile gemein haben. Aus dem constanten Vorkommen dieser Bestandtheile in den Pflanzen hat sie geschlossen, dass sie zur Bildung der Pflanze und ihrer Theile nothwendig seien, woraus sich von selbst ergiebt, dass sie auch nothwendig sind für einen Boden, auf welchem sich die Pflanzen entwickeln sollen und auch nothwendig im Dünger, wenn er zu ihrer Erzeugung beitragen solle. Die Wissenschaft hat ferner gezeigt, immer mit der Wage in der Hand, dass auch der daran reichste Boden verhältnissmässig nur wenig Procente von diesen Stoffen enthält.

Die Wissenschaft muthet den Landwirthen nichts weiter zu, als dass sie sich die sehr geringe Menge von chemischen Kenntnissen erwerben sollen, welche nothwendig sind, um die Sprache der Chemie zu verstehen und sich von der Wahrheit dieser Thatsachen zu überzeugen; es wäre widersinnig zu glauben, dass hieraus ihrem Betrieb Schaden erwachsen könnte; sie muthet ihnen zu, in ihrer Weise zu prüfen ob diese Thatsachen richtig sind; ob ein Feld, welches diese Stoffe nicht enthält, dennoch fruchtbar für ein Culturgewächs ist, und wenn nicht, ob es fruchtbar gemacht werden kann, wenn man ihm diese Stoffe giebt, ob ein daran reiches Feld unfruchtbar wird, wenn man ihm diese Stoffe nimmt. Auch durch diese Prüfung kann ihrem Betrieb kein Nachtheil erwachsen.

Wenn die Landwirthe in dieser Weise sich die Ueberzeugung verschafft haben, dass die Thatsachen und Schlüsse der Chemie mit den Thatsachen und Ergebnissen der landwirthschaftlichen Prüfung übereinstimmen, so hat die Chemie Alles gethan, was sie für die Landwirthschaft als solche thun kann; was sie ausserdem lehrt, ist keine Chemie mehr, sondern ist allen Wissenschaften gemein.

Wenn also in der eben gedachten Weise eine Uebereinstimmung der chemischen und landwirthschaftlichen Erfahrungen festgestellt worden ist, so liegt es doch in dem Interesse der Landwirthe, dass sie ihren Betrieb darnach einrichten und wo Fehler gemacht worden sind, ändern sollen; es ist nur denkbar, dass ihnen dies Vortheil bringen kann. Dies muthet ihnen nicht die Chemie, sondern der gesunde Menschenverstand zu, so wie alles andere, was sich an diese Thatsachen knüpft; er sagt ihnen, dass sie für die Zufuhr dieser Stoffe sorgen müssen und für ihren Wiederersatz, wenn sie dem Felde genommen worden sind, damit ihr unfruchtbares Feld fruchtbar und ihr fruchtbares Feld fruchtbarer werde, und ihr sehr fruchtbares Feld sehr fruchtbar bleibe; er sagt ihnen, dass die landwirthschaftliche Kunst nicht darin bestehen kann, ein sehr fruchtbares Feld einfach fruchtbar und ein fruchtbares Feld unfruchtbar zu machen.

Die Wissenschaft nimmt als Grundsatz an, dass eine jede Ansicht, um in der Lehre als wahr zu gelten, bewiesen werden müsse, und dass diese Beweise unwidersprechlichen Wahrheiten, z. B. dass zweimal zwei vier und nicht fünf sei, nicht widersprechen dürfen; sie erkennt keinen Schluss für richtig an, der diesen Wahrheiten widerspricht, und es ist offenbar keine widersinnige Zumuthung, von den Landwirthen zu verlangen,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_457.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)