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dass sie den nämlichen Grundsatz zur Richtschnur für ihre Schlüsse und Folgerungen annehmen. Um alles dies bewegt sich nun der Widerstreit; er gilt im Grunde weniger den Lehren und Thatsachen der Chemie, als den Schlüssen und Folgerungen, welche der gesunde Menschenverstand daraus zieht.

Die Auseinandersetzung der wissenschaftlichen Grundsätze datirt nicht von gestern, und ist jetzt bereits dreiundzwanzig Jahre alt, und es hätte sich der Standpunkt der landwirthschaftlichen Lehre (siehe den 37. Brief) gegen die Macht der Wahrheit und des gesunden Menschenverstandes so lange Zeit nicht behaupten lassen, wäre sie nicht wie durch eine Mauer davon abgeschlossen und gegen ihren Eingriff geschützt gewesen.

Die chemischen Wahrheiten in diesen Briefen lassen sich in einer einfachen Formel ausdrücken, welche von weitem wie eine mathematische aussieht, die aber ein Jeder versteht:

E = N – W.

Das grosse E in dieser Formel bedeutet Ertrag (Korn, Kartoffeln, Rüben etc.), das N bedeutet Nahrung (Phosphorsäure, Kali, Kalk, Ammoniak etc.), W heisst Widerstand.

In Worten ausgedrückt heisst die Formel:

Die Höhe des Ertrags (eines Feldes) entspricht oder steht im Verhältniss zur Nahrung im Boden (zu den Bedingungen der Erzeugung des Ertrags) weniger (minus) aller der Ursachen und Widerstände, welche die Nahrung an der Erzeugung des Ertrags hindern. Wenn der Buchstabe N sechs Apfelschnitten und W drei Finger bedeuten, welche zwei Apfelschnitten von den sechs festhalten, so sind nur die vier andern frei, und könnten z. B. von einem andern gegessen werden.

Der ganze Inhalt dieser Briefe ist nur eine Entwickelung dieser Formel; Alles was darin über Höhe und Steigerung der Erträge, über Fruchtbarkeit, Bebauung des Bodens, Dünger etc. gesagt ist, ist in ihr enthalten, und man versteht, dass, wenn diese Formel wahr ist, in ihrer Beachtung Millionen Recepte für die Verbesserung von Millionen Feldern und für die Erzielung der höchsten Erträge und die ewige Dauer dieser Erträge eingeschlossen sind, dass die Zukunft unserer Felder, das Einkommen und Vermögen aller Landwirthe von der verständigen und strengen Durchführung derselben abhängig ist, und Niemand wird leugnen können, dass die Entwickelung dieser Formel für die Landwirthe von einiger Bedeutung und ihre Erörterung für sie von Werth ist.

Alles was die praktische Landwirthschaft seit ein paar tausend Jahren in der Düngerlehre gewonnen hat, verdankt sie den richtigen Principien, welche die Vorbedingungen sind zu richtigen Schlüssen.

Auf die Erforschung der Nahrungsmittel der Gewächse gestützt, bezeichnete die Wissenschaft im Jahre 1840 den Landwirthen als eines der unfehlbarsten Mittel zu Steigerung ihrer Korn- und Fleischerträge den Guano, und empfahl auf das Eindringlichste seine Anwendung. Vor dem Jahre 1840 wurde der Guano auf keinem europäischen Felde als Dünger verwendet. Als das erste Schiff mit Guano in Liverpool landete, da wurden eine Menge fehlschlagende Versuche mit diesem Guano angestellt und über die Nützlichkeit dieses Düngmittels waren

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_458.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)