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Feld geben, dem er sie genommen hat; er soll eine Kartoffelschale und einen Strohhalm nicht verachten, sondern daran denken, dass die Schale einer seiner Kartoffeln und der Halm einer seiner Aehren fehlt. Seine Ausgabe für diese Einfuhr ist gering und ihre Anlage sicher, eine Sparcasse ist nicht sicherer, und kein Capital verbürgt ihm eine höhere Rente; die Oberfläche seines Feldes wird sich in ihrem Ertrag in zehn Jahren schon verdoppeln, er wird mehr Korn, mehr Fleisch und mehr Käse erzeugen, ohne mehr an Arbeit und Zeit zuzusetzen; seine Sorgen um sein Feld werden gemindert und er wird nicht in ewiger Unruhe wegen neuer unbekannter Mittel sein, die es nicht giebt, um sein Feld in anderer Weise fruchtbar zu erhalten.

Alle Grundbesitzer eines grossen Landes sollten für diesen Zweck zu einer Gesellschaft zusammentreten, um mit vereinigten Mitteln Anstalten zur Aufsammlung der menschlichen und thierischen Ausleerungen zu begründen, und ihre Ueberführung in eine versendbare Form zu bewerkstelligen. Alle Knochen, Russ, Asche, ausgelaugt und unausgelangt, das Blut der Thiere, und Abfälle aller Art sollten in diesen Anstalten gesammelt und von ihren eigenen Beamten für die Versendung zubereitet werden.

Um dies möglich und ausführbar zu machen, sollten die Regierungen und Polizeibehörden in Städten Sorge dafür tragen, dass durch eine zweckmässige Einrichtung der Latrinen und Cloaken einem Verlust an diesen Stoffen vorgebeugt werde[1]. Dies muss natürlich vorher geschehen, und wenn dann alle Landwirthe, alle Bauern im Lande, jeder jährlich nur einen halben Gulden in eine gemeinschaftliche Casse zusammenlegen, so lassen sich in allen Städten des Landes solche Anstalten in’s Leben rufen, und es ist ganz unbezweifelbar, dass sie sich nach wenigen Jahren ohne allen Zuschuss, wenn Jeder sich fest vornimmt, das Recept zu befolgen, von selbst erhalten werden.

Auf den Guano dürfen sich die Landwirthe nicht verlassen; sein Preis hat sich gegen früher bereits verdoppelt, und kein Verständiger darf daran denken, die Production eines ganzen Landes abhängig von der Zufuhr eines ausländischen Düngstoffs zu machen[2]. Die Landwirthe

  1. In München sind hierzu bereits vor mehreren Jahren von Seiten des Ministeriums des Innern, in Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Stadt, wohl durchdachte Anordnungen getroffen, und es hängt der Erfolg im wesentlichen davon ab, dass die Häuserbesitzer die weisen Absichten der Regierung erkennen und unterstützen.
  2. Es ist beinahe zu fürchten, dass der Guano in der Geschichte eine bedeutungsschwere Rolle spielen wird; bedenkt man, dass 1 Centner Guano die wirksamen Bodenbestandtheile von 25 bis 30 Centner Weizenkorn, oder dessen Aequivalente enthält und als Dünger verwendet in einer Reihe von Culturen eine entsprechende Menge von Nahrungsstoffen erzeugt, so kann man sich eine Vorstellung von dem unermesslichen Werth machen, den die Guanolager Amerika’s für die europäische Kornerzeugung besitzen. Durch die enorme Zunahme der Bevölkerung Londons und anderer grossen Städte Grossbritanniens wird der Verlust, den die englischen Felder an den Hauptbedingungen ihrer Fruchtbarkeit jährlich erleiden, immer grösser, und es scheint, dass die Schwierigkeiten, die sich einer Aufsammlung der menschlichen und thierischen Excremente, wenigstens in London, entgegenstellen, unüberwindbar sind. Man sieht demnach ein, dass England auf die Dauer kornerzeugendes Land nur bei einer ungehinderten Zufuhr von Guano wird bleiben können (so wie denn seit längerer Zeit schon Grossbritannien nahe an neun Zehntel von allem nach Europa gebrachten Guano consumirt). Vor ca. zwanzig Jahren sahen die amerikanischen Landwirthe mit einer Art Geringschätzung auf den Guano herab; dies hat sich aber sehr geändert; im Jahre 1858 sollen an 8 Millionen Centner in den Vereinigten Staaten eingeführt worden sein. In der gegenwärtigen Lage des englischen Feldbaues beherrscht Amerika durch die Guanolager den Preis aller Kornmärkte in Europa, namentlich Englands, und wenn durch irgend eine Conjunctur die Einfuhr von Guano nach England gehemmt ist, so müssen dort Zustände eintreten, deren Einfluss kaum berechnet werden kann. Es sind über viel geringere Dinge schon blutige Kriege entstanden.

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_460.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)