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Verbindung besteht. In den entsprechenden Verhältnissen erzeugen Milch und Mehlspeisen in dem menschlichen Leibe dieselbe Quantität von Arbeitskraft. Am Schlusse seines Berichtes über die angestellten Versuche macht Herr Bergverwalter Reissacher einige Bemerkungen, welche für Viele von Interesse sein dürften; ich gebe sie mit seinen eigenen Worten:

„Obgleich die Arbeit an sich und die Kraftentwickelung hierbei für Leute von gleichem Alter durchschnittlich wenig Unterschied für beide Bergbaue bieten, so ist doch der Aufenthalt des Rauriser Knappen im Berghaus am hohen Goldberg mitten in der Gletscherregion, die sich bis zu einer Erstreckung von ½ Stunde abwärts vom Berghaus ausdehnt und dasselbe rings mit allen Eigenthümlichkeiten des Gletschers umgiebt, viel rauher seinen klimatischen Verhältnissen nach, als der Aufenthalt am Rathhausberg, wo sich kein Gletscher angesetzt findet. Der Zugang zum Berg ist in Rauris eben wegen des Gletschers und seiner Stürme, abgesehen von der beträchtlich grössern Entfernung der Wohnungen der Knappen, weit beschwerlicher als in Gastein, und Verunglückungen von Knappen durch Erfrieren sind in Rauris öfter, in Gastein aber nicht vorgekommen.“

„Der Kraftaufwand, den der Berggang erheischt, ist übrigens sowohl in Gastein als in Rauris grösser als der, welcher für die Arbeit in der Grube beansprucht wird, und in eben dem Maasse wie die Unwirthlichkeit der Verhältnisse in Rauris grösser ist als am Rathhausberg, ist auch die Dauer der Diensttauglichkeit eines Rauriser Knappen beschränkter. In Rauris kann nur ein vollkommen gesunder und kräftiger Mann den Berggang ertragen, und daher kommt es, dass mit Einschluss der Jungen jeder vierte Mann dem Militairstande angehört, oder im Militair gedient hat. Trotz diesem Beweis der körperlichen Rüstigkeit gilt es aber als Regel, dass bei einem Lebensalter von rund 40 Jahren und einer Dienstzeit von 20 Jahren der Rauriser Knappe nicht mehr befähigt ist, den Berggang auszuhalten, wenn gleich derselbe noch zur Arbeit am Gestein diensttauglich bleibt.“

„In Gastein lässt sich hingegen annehmen, dass der Mann in einem Alter von rund 50 Jahren und bei einer Dienstzeit von 30 Jahren arbeitsunfähig wird, und zwar ebenfalls zumeist deshalb, weil er unfähig ist den Aufgang zum Berg zu verrichten, d. h. am Berg zu steigen.“

„Athmungsbeschwerden und daraus hervorgehende Krafterlahmung, vornehmlich in den Füssen, zwingen ihn die Alpenregion zu verlassen und den Dienst als untauglich hierzu aufzugeben.“

„Dass nicht die dumpfe Grubenluft, nicht der Pulverdampf oder die staubige Atmosphäre der Scheidstuben diese mit dem vorrückenden Alter auftretenden Athmungsbeschwerden hervorrufen, sondern dass sie, wenn auch erstere Ursachen mitwirken, doch vorzugsweise vom Bergsteigen mit gleichzeitigem Lasttragen, und vom Aufenthalt in der Alpen- und Gletscherregion bedingt werden, beweist der Umstand, dass selbst Aufsichts-Individuen und Tagarbeiter in ähnlicher Weise dienstunfähig werden, obwohl sie ersteren Einflüssen minder ausgesetzt sind.“

„Versuche haben zu wiederholten Malen gezeigt, dass Hunde und Katzen zumal am Rauriser Goldberg nicht leben können, und selbst

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_471.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)