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dass auch der rechtgläubige Klerus zum Theil in schroffe Opposition gegenüber dem reichsfeindlichen Papstthum gedrängt wurde: den Magister Marquard von Ried hatte um 1229 der Bischof Gebhard von Passau excommunicirt, weil er den Papst einen Häretiker genannt hatte, der Pfarrer von Wien wurde 1250 als der Ketzerei verdächtig abgesetzt[1].

Noch weniger konnte die kirchliche Stellung der süddeutschen Volkskreise durch den seit 1239 entbrannten Vernichtungskampf zwischen Kaiserthum und Papstthum unberührt bleiben. Wie hoch zeitweise die Wogen der leidenschaftlichen Feindseligkeit der ghibellinischen Kreise gegen die Kirche gingen, zeigt am überraschendsten die um 1250 von schwäbischen Geistlichen ghibellinischer Richtung geschürte, vornehmlich von Schwäbisch-Hall ausgehende Bewegung, welche auf nichts weniger als auf die Beseitigung der gesammten Hierarchie und der mit ihr zusammenhängenden kirchlichen Ordnungen hinarbeitete. Die Verwerfung des Papstthums, welches Kaiser Friedrich als gottgesandter Richter zur Rechenschaft ziehen sollte, wird hier allerdings ausschliesslich durch joachimitische Gedanken und Erwartungen motivirt; aber in den einschneidenden praktischen Folgerungen, dass Papst, Bischöfe und Klerus, weil von Sündenschuld befleckt, ihre Amtsgewalt verloren hätten, dass man sich um ihre Interdicte nicht kümmern, ihre Seelsorge nicht in Anspruch nehmen dürfe, trifft doch die „Secte von Schwäbisch-Hall“ mit der waldensischen Opposition zusammen[2]. Während der weiteren Ausdehnung der joachimitisch-ghibellinischen Bewegung der Tod König Konrad’s IV., der offen für dieselbe eingetreten war, ein Ziel setzte, hat die waldensische Propaganda gerade in jener Zeit der Wirren erneuten Aufschwung genommen. Wir hören von David von Augsburg, wie die Waldenser die mit dem Klerus in Streit liegenden Volksmassen für sich zu gewinnen wussten, wie sie aber auch einen deutschen Reichsfürsten der staufischen Partei – Otto von Baiern oder Friedrich II. von Oesterreich? – auf ihre Seite zu bringen suchten[3]. „Wird das Interdict verhängt,

  1. Mon. Boica XXIX, 2, S. 348, 370 ff.
  2. Vergl. den Aufsatz von Völter in der Zeitschr. für Kirchengesch. IV (1881) S. 360 ff. und die Ergänzungen Bossert’s in den Württembergischen Vierteljahrsheften V (1882) S. 290 ff.
  3. Ausgabe von Preger a. a. O. S. 219. Preger (Abhandl. d. Münch.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_294.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)