Seite:De DZfG 1889 01 325.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Bezeichnung „Vauderie“ gleichbedeutend mit Teufelsbuhlschaft und Hexerei geworden, so dass die provençalischen Waldenser im Jahre 1535 den Namen „Vaudois“ als beschimpfend abwiesen[1].

Gibt uns nach dem Gesagten die erste Gruppe der den Kremser Ketzern beigelegten Lehren nicht das Recht, sie dem manichäischen Sectenkreise ohne Weiteres zuzurechnen und ihre Zugehörigkeit zu der waldensischen Secte abzuweisen, so wird auch durch die Lehrsätze der zweiten Gruppe die Abgabe eines abschliessenden Urtheils nicht ermöglicht. Die Kremser Ketzer verwerfen angeblich die Taufe, die Eucharistie, die letzte Oelung, den Eid, die kirchlichen Fasttage, Feste und Weihen, den Kirchengesang; die katholische Kirche gilt ihnen als eine heidnische, die kirchlichen Gebäude nennen sie Steinhäuser, die Ehe eine „fornicatio iurata“[2]. Mit Ausnahme des letzten Satzes, der sich aber unschwer aus dem Missverstehen der bekämpften ketzerischen Lehre erklären lässt, finden wir die sämmtlichen Anklageartikel in den Verzeichnissen der waldensischen Irrthümer, wie sie uns David von Augsburg und der Passauer Anonymus liefern, zum Theil in wörtlicher Uebereinstimmung wieder[3]; aber auch die Katharer sind hinsichtlich der aufgeführten Punkte in Opposition zur kirchlichen Lehre gestanden. Einen festen Anhaltspunkt erhalten wir erst durch die Lehrstücke der dritten Gruppe und zunächst durch

    Illyr., Catal. test ver. (1666), S. 953, Nr. 24; Wattenbach in den Berliner Sitzungsberichten 1887, S. 517 ff. – Dass die eichstädtischen Ketzer Waldenser sind, ergibt sich schon daraus, dass sie sich die „vor Gott Erkannten“ (Kunden) nennen. Ueber die brandenburgischen Waldenser vergl. meine Bemerkungen im Histor. Taschenbuch 6. Folge, VII (1888), S. 237.

  1. Vergl. Duverger, La Vauderie dans les états de Philippe le Bon (1875) und Bourquelot „Les Vaudois du XVe siècle“ in Bibliothèque de l’école des chartes, 2. série, T. III (1846), S. 81 ff.; C. Schmidt, Zeitschr. f. hist Theol. Bd. XXII, S. 250. Vergl. den Nachtrag am Ende dieses Anhangs.
  2. Hier wie im Folgenden kommt als Quelle in erster Linie die ausführlichere Fassung des Kremser Berichtes, wie sie die von Pez benutzte Handschrift enthält, in Betracht.
  3. Radicale Verwerfung der Taufe wird u. a. auch den eichstädtischen Waldensern des 14. Jahrh. (Wattenbach S. 519), Bekämpfung der Transsubstantiation im Altarsacramente sowohl diesen wie den Mainzer Waldensern von 1393 („Der waldensische Ursprung des Codex Teplensis“ S. 36) vorgeworfen. „Steinhäuser“ nennen auch die Leonisten des Passauer Anonymus (Bibl. max. XXV, S. 266 A) die katholischen Kirchen. Aehnlich wie die Kremser Ketzer sprechen sich die Waldenser David’s von Augsburg (S. 207) über die Ehe aus: matrimonium dicunt esse fornicationem iuratam, nisi continenter vivant; qualescunque alias luxurie immundicias magis dicunt esse licitas quam copulam coniugalem.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_325.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)