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reichend. Sie liegen jetzt, nach dem Tode des Verfassers, zu einem einheitlichen Ganzen vereinigt vor und bieten eine Geschichte des irischen Volkes von allem Beginn historischer Kenntniss bis zum Abschluss der Tudor-Epoche, also eine Geschichte fortwährender Kämpfe nicht bloss zwischen Iren und Engländern, sondern auch zwischen den englischen Siedlern und der ihnen stets misstrauenden, oft entgegenwirkenden heimischen Regierung. Der Verf. hat mit dieser seiner Arbeit gezeigt, dass strenge Wissenschaftlichkeit bei vollendet künstlerischer Form der Darstellung bestehen kann; er hat zugleich, was in Betreff Irlands so ungemein schwierig ist und bisher wenigstens nicht geleistet wurde, Licht und Schatten völlig unparteiisch zwischen den Streitenden getheilt. Amtliche Proklame, erflossene Gesetze und Anordnungen, überhaupt Regierungsacte, und ebenso Kundgebungen von regierungsfeindlichen Parteien behandelt er nach dem Grundsatze, dass sie keineswegs unanfechtbaren Beleg von Thatsachen bieten, sondern volles Vertrauen nur in den Punkten verdienen, welche die Regierung oder die Parteien gegen sich selbst entweder direct aussagen oder indirect zugestehen. Es wäre sicherlich nicht vom Uebel, wenn die historische Forschung auch in anderen als irischen Dingen von diesem Grundsatz öfter, als gemeiniglich der Fall ist, Gebrauch machte.

Wollte man diesen Grundsatz an Beurtheilung der Briefschaften O’Connell’s legen, die nun in zwei Bänden gesammelt vorliegen[1], so würde die Gestalt des grossen Agitators vielleicht manches von dem Zauber einbüssen, den sein Anhang und seine kleinen Nachfolger um sie gebreitet haben, und manches an echter Grösse wie an rein menschlicher Gemüthstiefe gewinnen. Richtig gelesen ergeben die O’Connell’schen Briefe die nicht wegzuleugnende Thatsache, dass die Haltung des Mannes während seiner Kämpfe für die Katholikenemanzipation bis zur Durchführung derselben im Jahre 1829 eine völlig untadelhafte und vorwurfsfreie gewesen ist, dass aber nachher sein plötzliches Eintreten für den Widerruf der Union aus nicht ganz und gar lauteren Beweggründen sich erklären und zum Theile auf die sonst bei ihm nie zu Tage tretende Einwirkung des Egoismus sich zurückführen lässt. Uebrigens zeigt uns die Lectüre dieser Briefe aufs klarste, dass von einer Analogie zwischen den Bestrebungen O’Connell’s und der Methode, wie er sie durchgeführt hat, auf der einen, und den Bestrebungen Parnell’s und der Landliga auf der anderen Seite, nur sehr bedingt die Rede sein kann.

Venedig, im Febr. 1889.

M. Brosch.     
  1. Correspondence of Dan. O’Connell, the Liberator. Edit. with Notices of His Life and Times by W. J. Fitzpatrick. Lond. 1888.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_462.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)