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so wesentlich unterscheidet. Sie üben, heisst die Entwicklungsgeschichte der Ueberlieferung verfolgen[1].




Ist dann diese Arbeit gethan, der Schutt unechter Tradition hinweggeräumt und das sichere Material einer beglaubigten Berichterstattung herbeigeschafft, so mag der eigentliche Aufbau der geschichtlichen Darstellung beginnen. Die Methode der wissenschaftlichen Arbeit ist auch hier ausschliesslich die genetische. Mag es gelten, eine historische Einzelerscheinung, den knappen Ausschnitt aus einem grösseren Ganzen, zur Darstellung zu bringen, vielleicht eine Episode von wenigen Jahren, oder Leben und Wirken einer einzelnen Persönlichkeit, mag das Ziel weiter gesteckt sein und die Entwicklung eines bestimmten Zeitalters, eines ganzen Volkes, ja schliesslich den gesammten Umkreis der Weltgeschichte umfassen, immer ist – im Kleinen wie im Grossen – die Aufgabe des Historikers dieselbe: den Spuren der Entwicklung bescheiden nachzugehen, sie ungetrübten Blickes aufzufassen und möglichst rein und unverfälscht wiederzugeben. Höhere Ziele wagt er sich nicht zu stecken, und wenn die Menschen des 18. Jahrhunderts in dem angemassten Vorurtheil, als sei die Weltgeschichte das Weltgericht, alles vor das kritische Tribunal des richtenden Verstandes zogen, und an Dinge wie Menschen den absoluten Massstab ihrer Anschauungen legten, so geht unser Bestreben in erster Linie dahin, jede historische Erscheinung zu verstehen, das heisst: ihre Ursprünge klar zu legen, ihren inneren Zusammenhang mit anderen Erscheinungen der Zeit festzustellen, ihre Wirkungen auf die Folgezeit kennen zu lernen und sie so gewissermassen in den grossen und ewigen Zusammenhang des gesammten geschichtlichen Lebens als Glied einer unendlichen Kette einzureihen.

  1. Was ich hier allein von der Kritik erzählender Quellen ausgeführt habe, gilt natürlich nicht minder von der Kritik des ganzen übrigen historischen Quellenmaterials. Ich verweise beispielsweise auf die belehrende Darstellung, welche Bresslau (im 2. Cap. seines Handbuchs der Urkundenlehre Bd. I) der Geschichte der Urkundenkritik gewidmet hat. Was heute über Echtheit oder Unechtheit der einzelnen Urkunde entscheidet, ist im Grunde nichts anderes als ihre Entstehungsgeschichte. Diese klarzulegen dienen alle Operationen der Diplomatik.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_032.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)