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Wir werden stets von dem Unsrigen hinzuthun. Ja, mag die Ueberzeugung uns noch so tief eingeprägt sein, dass wir in unserem moralischen und intellectuellen Urtheil kein absolutes Werthmass der Dinge besitzen, für uns bleibt dieses Urtheil dennoch das absolute.

Und wenn dem so ist, wenn wir uns bewusst sind, unsere politischen, wie unsere sittlichen und religiösen, ja auch unsere intellectuellen Anschauungsformen nun einmal nicht eliminiren zu können bei unseren historischen Arbeiten, wenn wir in Folge dessen jedem Anspruch darauf von vornherein entsagen müssen, als könnten wir darstellen, wie die Dinge wirklich gewesen, und uns bescheiden, nur zu sagen, wie sie uns erschienen sind, – stehen wir damit nicht vor dem Bankerott unserer Geschichtsauffassung, ist es nicht an der Zeit umzukehren und Ernst zu machen mit jener naiven Anschauung, die uns ja doch im Blute steckt, dass der Mensch der Gegenwart mit seinem Denken und Fühlen, mit seinem Lieben und Hassen der einzige Massstab sei für alles geschichtliche Leben der Vergangenheit?

Ich fürchte nicht, dass Jemand mit Bewusstsein diesen Schritt wird unternehmen wollen. Freilich, wir wollen jenen Widerstreit zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Theorie und Praxis nicht verringern, nicht künstlich zu überbrücken suchen, wir wollen sein Dasein einfach anerkennen. Er weist uns darauf hin, dass auch diese Anschauung, der wir heute huldigen, nicht die abschliessende ist, dass eine Zeit kommen wird, welcher sie veraltet, „historisch“ erscheint. Aber noch ist ihre Mission nicht erfüllt und uns, denen die genetische Denkweise zum geistigen Lebenselement geworden ist, kann es das Ziel nicht verrücken, wenn wir uns klar machen, dass wir es doch nicht erreichen können. Es ist hier nicht anders, wie auf allen Gebieten des Lebens. „Unser Gang ist ein beständiges Fallen“, ein ewiger Compromiss zwischen Wollen und Vollbringen.

Nicht also um eine principielle Lösung des Widerspruchs kann es sich handeln, wohl aber um eine Ausgleichung in der Praxis. Und diese, meine ich, liegt nahe genug. Genetisches Begreifen und naives Beurtheilen der geschichtlichen Vergangenheit – mögen sie in der Idee noch so weit auseinanderliegen, in der Wirklichkeit treten sie zu einander in die fruchtbarsten Wechselbeziehungen, sie bedingen sich gegenseitig, sind eins ohne das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_034.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)