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H. Boos, Jean Froissart (in Preuss. Jahrbb. LXIII [März 89], 221), schildert die Niederlande des 14. Jhs. als den von grossen Gegensätzen belebten Nährboden für bedeutende Geschichtschreibung: Jehan le Bel, der die Wahrheit mit Mühe suche, sie aufrichtig und in künstlerischer Darstellung sage und den Stoff kritisch verstehe, wird von Froissart abgeschrieben und dann in der Fortsetzung übertroffen. Diesen machen Jugendeindrücke zum Bewunderer des späten Ritterthums; er verherrlicht es in seinen Schriften voll heiteren Lebens und verräth nirgends den Geistlichen. Seiner Geschichte fehlt künstlerische Gliederung, logische oder chronologische Ordnung, tiefere Motivirung, Entwirrung der diplomatischen Politik und unbefangene Schätzung der dem Adel entgegengesetzten Strömung unter Bürgern und Bauern. Aber was dieser scharfe Beobachter der Aussenwelt von Grossen und Herolden, auf Wanderungen von Schottland bis Spanien und Rom erfahren hat, das erzählt er mit unübertroffener Anschaulichkeit und, trotz manchen Gedächtnissfehlern in Geographie und Chronologie, im Ganzen staunenswerth gewissenhaft. Er meint, nur dem Adel gezieme die Waffenehre und bekennt doch, dass bei Crécy und Poitiers bürgerliches Fussvolk jenen besiegte. Engländer und Franzosen schildert er unparteiisch: nur die Deutschen, die auch Jehan le Bel gehasst hatte, scheinen ihm grausam und habgierig. [Zur Erklärung genügt wohl, dass die conventionelle Lüge, wie Boos dieses Ritterthum nennt, im Westen feiner als in Deutschland entwickelt war.] Froissart liefert (für 1325–1404) die umfangreichste Geschichte aller Zeiten und feilte rastlos an dem Riesenwerke nach. Die erste Ausgabe (bis 1372) zeigt, im Gegensatz zu Jehan, helle Begeisterung für England; seit 1373 aber, im Dienste französisch gesinnter Herren, schreibt Froissart sein Zeitgemälde vom andern Standpunkt aus um, wie er ausdrücklich sagt, unbestochen, nur der Wahrheit zu Liebe. Auch berichtigt und ergänzt die Umarbeitung den Jehan le Bel und zeigt reiferes Urtheil: den früher geschmähten Jacob von Arteveld vermag dieser Feudalist in der unvollendeten dritten Redaction, die er um 1400 begann, sogar gross und weise zu nennen. Jetzt erscheinen ihm die einst so gerühmten Engländer geneigt zu Krieg und Vertragsbruch, wunderlich und misstrauisch, hochfahrend und selbst gegen den König, der sie um Rath und Einwilligung befragen muss, nur ehrerbietig, wenn dieser siegreich sei; die Londoner seien mächtig durch ihr Geld und hiermit geworbene Söldner. Boos lobt Luce’s Ausgabe, aus welcher Froissart’s Arbeitsweise erst klar wird. Vgl. Maury, „Froissart“, Journal des savants Febr. 1889.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_497.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)