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Staatsmänner“, sondern durch die Lehren der Akademie und Plato’s bestimmt worden seien[1]. Diesen Vorwurf erhebt eine Geschichtschreibung, deren Grundanschauungen in der einseitigsten und abstractesten Theorie wurzeln!

Wie sehr gerade Grote im Banne der Schule stand, zeigt sich ausser in seinem politischen Radicalismus ganz besonders deutlich in seiner Abhängigkeit von der allmächtigen Zeitdoctrin der orthodoxen Wirthschaftslehre: eine Thatsache, die schon um desswillen eine eingehendere Darlegung verlangt, weil eigentlich sie erst den Schlüssel für das volle Verständniss von Grote’s Geschichtsauffassung an die Hand gibt. – Seine Lehrer in der „Metaphysik“ der politischen Oekonomie, wie er sich selbst bezeichnenderweise ausdrückt[2], waren – abgesehen von Adam Smith und Jeremias Bentham – Ricardo, der ältere Mill, Macculloch und der Franzose J. B. Say[3], Männer, mit denen Grote auch in dem lebhaftesten persönlichen Verkehr und Ideenaustausch stand. Es sind die Begründer jener individualistischen Nationalökonomie, welche mit ihrer Vorstellung von einer Naturwissenschaft (science) der Gesellschaft und den daraus abstrahirten Lehren von dem Naturgesetz der freien Concurrenz und der natürlichen Harmonie der Interessen, mit ihrer Anschauung von der Vermehrung des Reichthums als massgebenden Zweckes menschlichen Gemeinschaftslebens für den jungen Banquier unmöglich der Weg zu einer wahrhaft geschichtlichen Staats- und Gesellschaftsansicht werden konnte.

Am wenigsten vermochte Grote durch eine Lehre, welche die ökonomischen Erscheinungen von den anderen socialen Phänomenen so vollkommen isolirte, zu einer tieferen socialpolitischen Auffassung zu gelangen. Ricardo und seine Schüler waren Geschäftsleute, die aus dem wirthschaftlichen Leben diejenigen Erscheinungen herausgriffen, welche das Interesse des Geschäftsmannes erregen. Die Dinge, die diesem Interesse ferner lagen, traten bei ihnen mehr oder minder in den Hintergrund oder wurden auch geradezu als nicht vorhanden angesehen. Für

  1. Vgl. die für Grote’s Auffassung höchst lehrreiche Parallele zwischen Dion und Timoleon H. of Gr. Bd. X p. 477.
  2. Life of Grote p. 33.
  3. Vgl. ebenda bes. die Tagebuchangaben p. 29 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_016.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)