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zugleich als die natürliche Führerin des Volkes zu Freiheit, Reichthum und Bildung gefeiert wird, – letztere, die Arbeit, vertreten durch die lohnarbeitenden Classen, welche das eigentliche Volk bilden.

Daher werden denn auch die socialen Verhältnisse des platten Landes durchweg von diesem capitalistischen Gesichtspunkt aus beurtheilt. Die Schule Ricardo’s geht geradezu von der Voraussetzung aus, dass alle landwirthschaftlich benutzten Grundstücke von technisch gebildeten Capitalisten bewirthschaftet und von blossen Lohnarbeitern bestellt werden[1]; eine Voraussetzung, der ja allerdings die thatsächlichen Zustände Englands in hohem Grade entsprechen. Man sieht, hier ist auch nicht mehr die Rede von einem eigentlichen Bauernstand, wie wir ihn als den festesten Unterbau von Staat und Gesellschaft, als Grundpfeiler ihres gesicherten Bestandes nimmermehr entbehren möchten. Solche socialpolitische Erwägungen kennt die abstracte individualistische Theorie nicht. Für sie ist dasjenige agrarische System das beste, welches den Capitalisten einen möglichst hohen Unternehmergewinn sichert; und das ist eben der Betrieb der Landwirthschaft im Grossen, der für Credit- und Handelsoperationen, für rationelle Arbeitstheilung und Maschinenverwendung, kurz für intensivste Capitalnutzung den weitesten Spielraum gewährt. Dass mit der Entwicklung der grossen Güterwirthschaft der Untergang des Bauernstandes Hand in Hand ging, erscheint für diese Auffassung bedeutungslos, ja sogar als ein Fortschritt. Ein Geschichtschreiber der Manchesterschule, Buckle, geht über diese Thatsache mit der lakonischen Bemerkung hinweg, dass „die Gesellschaft beseitigt, was sie nicht länger braucht“. Selbst ein so humaner Staatsmann, wie Lord Dufferin, nennt es einen „krankhaften Hunger nach einem Bissen Land“, wenn jeder Feldarbeiter wünscht, ein Pächter, jeder Pächter, ein Grundeigenthümer zu werden[2].

Bei Grote zeigt sich der Einfluss der geschilderten Schulmeinungen zunächst in der heftigen Antipathie gegen das aristokratische Element in der agrarischen Gesellschaft; ein Widerwille,

  1. Vgl. Roscher, Der neuere Umschwung in den Englischen Ansichten vom Werth des Bauernstandes. Ansichten der Volkswirthschaft aus dem geschichtlichen Standpunkt. I² S. 243.
  2. Vgl. Roscher a. a. O. S. 25.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_023.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)