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verändert habe, sei die Erde, welche sicherlich jetzt weder mit höchster Gerechtigkeit lohne, noch leichte Nahrung abwerfe, – so ist das ganz die äusserliche Art, wie sich die individualistische Anschauungsweise auf dem socialen Gebiete mit den Dingen abzufinden pflegt, ohne den eigentlichen Kern der Frage zu berühren. Grote hätte unmöglich so schreiben können, wäre er sich voll und klar bewusst gewesen, was es für Volk und Staat zu bedeuten hat, wenn die Masse der freien Bauern dem nationalen Boden entfremdet und zu land- und rechtlosen Kleinpächtern (tenants at will) herabgedrückt ist, „ein steter Vorwurf für den Namen der Briten“ (Leslie).

Es ist bekannt, dass noch in den vierziger Jahren – bald nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Griechischen Geschichte – eine Reaction gegen die Vorurtheile der Ricardoschen Schule eintrat und eine tiefere, socialpolitische Auffassung der Agrarfragen sich Bahn zu brechen begann, welche den Werth der Landbausysteme nicht mehr in erster Linie nach dem Ertrag des im landwirthschaftlichen Betrieb angelegten Capitals, sondern nach dem moralischen und physischen Wohlsein der ackerbauenden Classe selbst beinass und die hohe Bedeutung eines unabhängigen bäuerlichen Grundbesitzes wieder zu würdigen vermochte. Trotzdem lässt die History of Greece nirgends erkennen, dass dieser Umschwung, der allerdings – abgesehen von John Stuart Mill – die Kreise Grote’s sehr wenig berührte, auf das Geschichtswerk desselben noch einen nennenswerthen Einfluss geübt hat.

Ich erinnere z. B. an die Art und Weise, wie von Grote die bedeutsame Umwandlung erklärt wird, die sich in der Zeit von Perikles bis Demosthenes im Charakter der Athenischen Bürgerschaft vollzogen hat. Er sucht die Ursachen des Sinkens der Thatkraft, der politischen und militärischen Leistungsfähigkeit des Athenischen Bürgerthums einzig und allein in den entmuthigenden Erfahrungen des Peloponnesischen Krieges[1], in der übermässigen Hingabe des Volksgeistes an die Tendenzen des Friedens und friedlicher Erwerbsthätigkeit, an den Genuss eines gesteigerten Luxus des häuslichen Lebens. Und als ob er selbst fühlte, dass diese Erklärung zum vollen Verständniss der Erscheinung nicht ausreicht, eröffnet Grote der Phantasie des Lesers

  1. H. of Gr. Bd. V p. 414.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_025.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)