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vielmehr in der Weise zu lösen, dass er den Willen als das Ding an sich in dem intelligibelen Charakter Kant’s wiederfindet und ausserhalb des Causalitätsgesetzes stellt[1]. Da jedoch dieses Ding an sich seiner Potentialität nach auch blosse Lebenskraft sein kann, so vernähme man gern, warum die Freiheit als „das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen“, nun gerade die moralische Freiheit sein muss. Das Räthsel löst sich aber sofort, wenn wir uns noch einmal Schopenhauer’s Methode transcendentaler[WS 1] Betrachtung vergegenwärtigen.

Angenommen, wir könnten alle Phänomene auf ihre Ursachen zurückführen, so bliebe doch immer die Grundursache für die ganze Reihe der Phänomene unerklärt[2], und zwar so lange, als wir uns auf das Begreifen beschränken und unser Blick nur an der Erscheinungswelt haftet. Bei allen Wissenschaften ist dies der Fall. Zu dem Wesen der Dinge dringen allein durch das Genie des Künstlers und die Philosophie, welche demnach strenggenommen keine Wissenschaft, sondern ein der Kunst Verwandtes ist[3]. Wie den Künstler sein Genius, so leitet dabei den Philosophen „das bessere Bewusstsein“[4].

In dieser Schärfe hat Schopenhauer jedoch seine Gedanken nur in den Studien zu seinem Hauptwerke ausgeprägt. Wenn er in diesen die Wissenschaften noch als die eigentliche Domäne des vernünftigen Normalmenschen bezeichnet, so kann nach seiner späteren Ansicht beispielsweise auch der Historiker die Pfade

  1. l. c. S. 96–7.
  2. Welt a. W. I, § 17, vergl. Deutsch. Mus. a. a. O. S. 679.
  3. Vgl. oben S. 53 Anm. 4. Ferner Memorab. 718 „Der Philosoph vergesse nie, dass er eine Kunst treibt und keine Wissenschaft“. Ebenda 719, 714 u. 247.
  4. Dieses in den Studien zur Welt a. W. häufig begegnende Vermögen identificirt Frauenst. Mem. S. 245 mit der „Verneinung des Willens zum Leben“, während es doch besten Falls nur das zu jener Verneinung führende Bewusstsein bezeichnen kann! Schopenh. selbst hat die Verwandtschaft desselben mit Schelling’s „intellectualer Anschauung“ gefühlt; denn er sagt in den Anmerkungen zu Schelling’s „Philosophie und Religion“, (aus A. Sch.’s handschriftl. Nachlass: Abhandlungen u. s. w., hrsg. v. Frauenst. Leipz. 1864, S. 230): „Schelling’s intellektuale Anschauung ist doch etwas Anderes, als das bessere Bewusstseyn, das ich dem Menschen zuspreche. Denn der Leser soll sie immer gegenwärtig erhalten, und das kann man nur einen Verstandesbegriff: was ich meyne, ist ausserzeitlich und steht nicht in unserer Willkühr nach Begriffen.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: transscendentaler
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_056.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)