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den Geschäften Geschichte wird“. Aber dürfen wir von ihm Klarheit in diesen Dingen verlangen, wo er doch mit sich über den Begriff der Wissenschaft so wenig im Reinen ist? Nach dem Dinge an sich, so heisst es das eine Mal, fragt allein die Philosophie, welche mit den Wissenschaften nichts zu thun hat. Dennoch beschäftigen sich diese mit dem, „was immer ist“, woraus sich mit Nothwendigkeit die u. a. von Schelling gezogene Folgerung ergibt, dass wir streng genommen nur von Einer Wissenschaft, der Philosophie reden dürfen. Wenn nun Schopenhauer trotzdem die Existenz von Naturwissenschaften behauptet, welche sich also mit dem immer Seienden in der Natur zu beschäftigen hätten, so setzt er damit doch eigentlich eine todte, starre Materie an die Stelle der lebendigen, sich ununterbrochen neu gestaltenden Natur, die Entwicklung, welche unter das eiserne Joch des Causalitätsgesetzes gebeugt und in den apriorischen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit vorstellbar wird, fällt alsdann nicht mehr in den Bereich wissenschaftlicher Untersuchung. Und wenn er schliesslich der Geschichte insbesondere einen Vorwurf daraus macht, dass sie in Folge der Unerschöpflichkeit des Individuellen und Einzelnen „von jedem neuen Tage, in seiner Alltäglichkeit, sich das lehren lassen müsse, was sie noch gar nicht wusste“, so vergisst er, dass auch die Natur, der Erdball, das Sonnensystem eine Zukunft haben, deren Dunkel bei allen Fortschritten der Naturwissenschaften wohl nie ganz gelichtet werden wird, der Schüler Kant’s vergisst vor allem, dass ja auch die Zukunft jedes Einzelindividuums und des weiteren selbst der Gattung sich im Voraus berechnen liesse, falls nur das aus Charakter und Motiven hervorgehende Product, welches unsere Handlungen sind, auflösbar wäre[1]. Soll aber eine Wissenschaft unter allen Umständen die Dinge auf ihre letzte empirische Wurzel zurückführen können, so wird sich freilich die Geschichte in noch höherem Grade als die Naturwissenschaften

  1. K. d. r. V. 2. Aufl., S. 577 fg. (Erdmann 392): „Alle Handlungen des Menschen in der Erscheinung [sind] aus seinem empirischen Charakter und den mitwirkenden anderen Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimmt, und wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkür bis auf den Grund erforschen könnten, so würde es keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewissheit Vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen könnten.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_059.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)