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für immer begnügen müssen, nur ein Wissen zu sein.

Der Inhalt dieses Wissens aber ist „nur der lange und verworrene Traum der Menschheit“. Hatte noch Kant die Frage nach einem Fortschritt zum Besseren in der Menschengeschichte schliesslich bejahen müssen[1], so hält Schopenhauer in dieser schlechtesten aller Welten allein eine intellectuelle Vervollkommnung für möglich, „da das Moralische im Wesentlichen unverändert bleibt“[2]. Auch Kant’s Lehre vom Antagonismus der Kräfte schimmert in dem durch, was er seine „Teleologie der Moral“ genannt hat[3] und wie jener glaubt auch er, dass es ohne die natürlichen oder von Menschen hervorgebrachten Uebel keine Tugend auf Erden gebe, aber auch – und hier hören wir nur den ästhetischen Philosophen – kein Trauerspiel. Doch ist hier abermals ein Widerspruch nicht nur mit Kant, sondern auch mit seiner eigenen Lehre zu constatiren. In Gemässheit seiner Freiheitslehre ist nämlich ein Fortschreiten hinsichtlich der Moral, da der Charakter als die Sphäre des Wollens als constant angenommen wird, nur durch Berichtigung der Erkenntniss möglich[4], welche eine Läuterung der Motive zur Folge haben kann. Indem aber derart gereinigte Motive den Willen nach einer anderen moralisch besseren Richtung hinlenken, führt intellectuelle Vervollkommnung mittelbar auch zu erhöhter Moralität.

Am auffallendsten tritt der zuletzt berührte Widerspruch in seiner „Rechtslehre“ zu Tage. Hier ereifert er sich namentlich gegen Kant, weil dieser im Staate eine Anstalt zur Beförderung der Moralität sehe. Aber ist es nicht dasselbe, wenn Kant Legalität als die Vorstufe der Moralität hinstellt, oder wenn Schopenhauer behauptet, dass der Staat, falls er nur seinen Zweck, die Verhütung der nachtheiligen Folgen des Egoismus, vollständig erreiche, auf diesem Wege „dieselbe Erscheinung hervorbringen werde, als wenn vollkommene Gerechtigkeit der Gesinnung allgemein

  1. Streit der Facultäten (1798). 2. Abschnitt, 6. S. 142 ff. der 1. Ausg.
  2. W. a. W. II, 506.
  3. Memorab. 736: Zur Beförderung der menschlichen Moralität diene u. a. „das ganze Verhältniss der Natur zu den Bedürfnissen des Menschen, wohin auch die Nothwendigkeit der Collission der Menschen untereinander gehört“.
  4. Grundprobleme S. 52.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_060.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)