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Staat Böhmen von der Gründung bis zu seiner Auflösung nach Nationalität, Verfassung, Recht und Verwaltung, in seiner culturellen und materiellen Entwicklung als wesentlich Czechisch-Slavisch dargestellt hat, der Deutschböhmischen Geschichtschreibung die leidige Aufgabe ob, in stetem Gegensatze zu Palacky und der durch ihn geschaffenen Richtung den weitreichenden und bis in die Anfänge des Böhmischen Staates zurückleitenden Antheil der Deutschen an all’ dem darzuthun; es erscheinen endlich ebenso oft Deutsche Werke und Publicationen als Fortsetzungen oder werthvolle und nothwendige Ergänzungen von Czechischen, Czechische von Deutschen.

Wenn daher im Nachfolgenden gelegentlich auch der Czechischen Historiographie gedacht wird, so geschieht es durchaus nicht etwa, um gegen den im 3. Hefte, Jahrgang 1889, S. 176–192 der „Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ gebrachten Bericht H. Vančura’s über „Die Neuere Böhmische Geschichtsforschung“ zu polemisiren, der seinerseits jede Erwähnung Deutscher Arbeiten[1] meidet und sogar in seinem Urtheil über die Czechischen Leistungen sich vielfach grosser Zurückhaltung oder rücksichtsvoller Schonung befleissigt.

Die Entwicklung der neueren Geschichtschreibung in Böhmen, jene der Deutschen wie der Czechen, steht der Natur der Sache selbst nach in directem inneren Zusammenhange mit den culturellen und politischen Bestrebungen des Deutschböhmischen und Czechischen Volkes in Oesterreich überhaupt. Es hiesse auf den tiefen Untergrund der politischen und nationalen Zustände in Oesterreich und Böhmen des Breiten zurückgreifen, sollte hier dargethan werden, wesshalb sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst die Czechische Forschung und Geschichtschreibung kräftig entwickelte und selbst Deutsche sich in ihre Dienste stellten, und wesshalb den Deutschböhmen erst mit der Neuorganisirung der alten Prager Universität, der Berufung bedeutender Deutscher Gelehrter (Höfler), und mit der Umwandlung der inneren und äusseren politischen Verhältnisse, die nun die innigsten Wechselbeziehungen im geistigen Leben der Deutschen in Oesterreich mit ihren Stammesbrüdern im Reiche gestatteten, die Möglichkeit geschaffen ward, auf dem weiten Gebiete der Geschichtschreibung erfolgreich mitzuarbeiten. Aber sowie nach dem Entwicklungsgange selbst, so schieden sich fernerhin nach Weg, Mass und Mittel Deutsche und Czechische Forschung. Mit nicht minder grosser Liebe und Treue als der Czeche hängt der Deutschböhme an seiner schönen Heimath, sitzt er fest auf dem von den Vorvätern ererbten Boden. Aber

  1. Nur S. 187 sind Höfler’s „Acta conc. Prag.“ angeführt. – Vgl. auch Heft 4 (Jahrg. 1889), S. 523 die Bemerkung, dass es in der Ueberschrift v. Vančura’s Aufsatz „Czechisch“ statt „Böhmisch“ heissen soll.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_04_129.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)