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anerkennt, als gerade er, wird er wohl nur Weniges in der weit zerstreuten, desshalb schwer erreichbaren, Byzantinischen Literatur übersehen haben, und wenn ihm etwas entgangen ist, so ist es nichts von hervorragender Bedeutung, abgesehen von einigen Französischen Forschungen über die Geschichte des Lateinischen Orients, die er mit Absicht übergangen zu haben scheint. Ausserdem hat er tiefeindringende Forschungen in den Italienischen Archiven gemacht, die unsere Kenntnisse weit über Hopf hinaus erweitern. Gr. besitzt einen weiten welthistorischen Blick, der, oft an Ranke gemahnend, über der Einzelheit nie das Ganze aus dem Auge verliert, ihre Bedeutung für dieses rück- wie vorwärts schauend klarlegt, sich nie ins Kleinliche verliert, auch wenn er Kleines behandelt, scheinbar einander entgegengesetzte Thatsachen unter gemeinsame Kategorien zu bringen weiss. Ebenso hoch möchte ich Gr. den stark sittlich ausgeprägten Charakter seiner Geschichtschreibung anrechnen, der die Thatsachen nicht mit jener farblosen Theilnahmlosigkeit des Gemüths behandelt, sondern auch einmal wie vom Richterstuhle aus hinweist auf die Verwerflichkeit menschlichen Thuns, wie das z. B. im Lateinischen Kreuzzuge gegenüber dem alten Culturreiche von Byzanz zu Tage tritt.

Ich sagte oben, Gr. sei auch ein grosser Künstler. Ich hebe das um so lieber hervor, als wir bekanntlich in der Jetztzeit in Deutschland gerade nicht so sehr viele Gelehrte besitzen, welche Geschichte auch wirklich schreiben können. Ich will gar nicht die saubere und geschickte Anordnung und Gruppirung des oft recht spröden Stoffes, nicht die fein abgestufte Vertheilung von Licht und Schatten, nicht die Kunst, auch der kleinsten und trockensten Notiz Farbe und Leben abzugewinnen und unebene Mosaiksteinchen zu einem organischen Ganzen zusammenzufügen, besonders betonen, aber wahrhaft bewundernswerth sind die Klarheit und Durchsichtigkeit des Stils, die Kürze des Ausdrucks bei aller Anschaulichkeit, die mitunter geradezu poetisch angehauchte Sprache. Gr. ist ein Classiker unter den Geschichtschreibern, und unter den lebenden Deutschen Historikern möchte ich mit ihm als Schriftsteller bei aller Verschiedenartigkeit nur Riehl u. Treitschke vergleichen. Die Byzantinisten sollten sich also freuen, dass er auch ihr Arbeitsgebiet mit einem Werke beschenkt hat, das ein standard work sein wird. Ich würde es desshalb für kleinlich halten, in diesen Blättern an Einzelheiten, über die man anderer Meinung sein kann, herumzumäkeln, einem solchen Wurfe gegenüber geziemt sich die Bescheidenheit und Dankbarkeit des Lernenden. Nur einen Wunsch möchte ich aussprechen, nämlich den, dass es dem hochverehrten Manne vergönnt sein möge, auch die Geschichte

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_04_215.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2022)