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Soweit diese Bestimmungen die Ausdehnung des Geschichtsunterrichts auf das 19. Jh. fordern, erfüllen sie eine nicht länger aufschiebbare Forderung; soweit sie eine grössere Berücksichtigung der Cultur-, speciell auch der Socialgeschichte vorschreiben, folgen sie dem kräftigen Zuge der Zeit und ebenso auch der Entwicklung unserer Geschichtswissenschaft. Was nun aber die Verquickung dieser Reform mit dem bewegenden Anlass und dem ausgesprochenen Ziel derselben, einer durchaus politischen Aufgabe, anlangt, so liegen die schwersten Bedenken ja auf der Hand. Man braucht nicht Pädagoge zu sein, um zu erkennen, wie misslich es sein muss, die Schule als Mittel zur Bekämpfung einer bestimmten polit. Richtung zu benutzen und dadurch den Lehrer zu einem Theil der Schüler und deren Eltern in eine erbittert gegensätzliche Stellung zu bringen. Doch diese mehr schulpädagogischen Erwägungen liegen dieser Zeitschrift ferner; und gar der staatsbürgerliche Gesichtspunkt, dass mancher Lehrer genöthigt wird, Anschauungen, die seiner eignen Ueberzeugung entgegenlaufen, zu vertreten, kann hier füglich nur angedeutet werden. Ganz zweifellos ist es aber Sache des Historikers[WS 1], vom geschichtswissenschaftlichen Standpunkt dagegen Verwahrung einzulegen, dass dem Geschichtslehrer nicht etwa nur die besondere Berücksichtigung bestimmter Epochen und Verhältnisse, sondern vielmehr eine ganz bestimmte Auffassung der geschichtlichen Thatsachen vorgeschrieben, ja mehr als das: die tendenziöse Zuspitzung auf ein ausserhalb der Sache liegendes Ziel hin zur Pflicht gemacht wird. Für den Historiker sollte im Gegentheil die Ermahnung lauten: grösstmögliche Objectivität in Wiedergabe der Thatsachen; und für die Form der Darstellung bei aller wünschenswerthen Wärme des Vortrags doch Zurückhaltung einer von den Tagesfragen zu stark bewegten subjectiven Auffassung. – In Praxis wird freilich aus der angestrebten directen politischen Einwirkung, wenigstens auf dem Gebiet der wirthschaftsgeschichtlichen Belehrung, wegen der in der Sache liegenden Schwierigkeiten kaum viel werden. Das kann man wohl schon aus den „Ergänzungsheften“ für die Seminare entnehmen, deren Hauptrüstzeug in „Geschichten von berühmten Männern, die sich aus eigenem Fleisse auf die höchsten Stufen des Wohlstandes emporgearbeitet haben“, zu bestehen scheint – einer harmlosen Waffe, die mehr in ein Museum als auf den Kampfplatz gehört. Auch empfängt man den Eindruck, dass die in der Cabinetsordre so scharf ausgeprägte politische Tendenz in den „Bestimmungen“ schon merklich abgeschwächt ist (welchen Eindruck der Verlauf der Schulconferenz entschieden verstärkt), und man wird erwarten dürfen, dass in der Hand des historisch geschulten Lehrers diese Seite der Reform noch mehr zum äusseren Beiwerk, die Ausdehnung des Unterrichts auf neueste Zeit und Culturgeschichte zum Wesentlichen wird. Zurückbleiben aber kann immerhin eine bedenkliche Verstärkung der ohnehin schon stark genug vertretenen Neigung, dem Geschichtsunterricht auf unseren Schulen nicht die Aufgabe zu setzen, unbefangen über das wirklich Geschehene zu unterrichten, sondern mit tendenziösem Hinblick auf die Gegenwart eine ganz bestimmt gefärbte Auffassung von der Vergangenheit zu verbreiten.

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Archive, Museen, Bibliotheken. Wie viele veraltete Bestimmungen sich noch durch die Benutzungsordnungen unserer wissenschaftlichen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Historiker
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_04_404.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2022)