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bezeichnen, gewesen sein, wenn man mit der Sprachwissenschaft sie auf die oben angeführte Wurzel mit der Bedeutung fixum esse, valere zurückführt[1].

Das Recht der Rechtsgemeinschaft tritt schützend neben die thatsächliche Macht der Einzelnen oder Mehreren. Es umfasst aber nicht alle Beziehungen der Einzelnen zu den Einzelnen und der Rechtsgemeinschaft zu den Einzelnen oder anderen Gemeinschaften, sondern nur einen kleinen abgegrenzten Kreis. Den Schutz der rechtlich nicht geschützten Einzelbeziehungen im Inneren überlässt es der persönlichen Macht oder der Macht der Sippe; nach Aussen hin steht die Rechtsgemeinschaft bald im Kampfe, bald im thatsächlichen Frieden, verbürgt durch die geschlossene Macht, die hinter ihr steht.

Es herrscht also ein „Rechtszustand“, geschützt durch die Rechtsordnung, und ein „thatsächlicher Zustand“ des Friedens, geschützt durch die Macht, neben einander; Rechtsbruch und Friedensbruch bilden die Kehrseite. Dabei ist ein öfteres Herüber- und Hinübertreten über die Grenze leicht möglich, da ja kein Lebensgebiet eines Volkes mechanisch abgeschnitten ist und die verschiedenen menschlichen Beziehungen einander beeinflussen oder durchdringen.

Dadurch entsteht eine Uebergangsform, die, je nachdem das eine oder andere Element überwiegt, bald hierhin bald dorthin sich neigt, und, bedingend und bedingt dadurch, auch der Unterschied zwischen dem sogenannten öffentlichen und dem sogenannten privaten Strafrecht; hinter ersterem der Schutz der Rechtsordnung, hinter letzterem vor allem die thatsächliche Macht der Verletzten, und nur eventuell und subsidiär die Rechtsordnung.

In fortschreitender Entwicklung sucht dann die Rechtsordnung den durch sie geregelten Kreis von Beziehungen auszudehnen; so sucht das öffentliche Strafrecht das sogenannte private Strafrecht zu absorbiren, oder wenigstens seine Stütze, die eigene thatsächliche Macht, in gewisse Schranken zu bringen. Naturgemäss wird dadurch der bisher in eigenartiger absteigender Entwicklung neben dem Rechtszustand einhergehende Friedenszustand innerhalb der Rechtsgemeinschaft zurückgedrängt

  1. Vgl. Graff, a. a. O. II S. 397.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_05_010.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)