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die leitenden Strebungen abzuziehen und die Ergebnisse überschauend zu beurtheilen. Allein zum Schaden seines Werthes als Quelle ist er zu sehr Künstler, um kleine Begebenheiten ohne inneren Zusammenhang trocken annalistisch aufzureihen; so enttäuscht er uns gerade im zeitgenössischen Theile seines Werkes, weil er die allmählich unter der Oberfläche wirkenden, für uns heute als wichtig leicht erkennbaren Entwicklungen, wie z. B. die Verschmelzung der Normannen und Engländer, noch nicht bemerken konnte und Einzeldaten, etwa den Aufenthalt des Königs, nicht beachten wollte. Was er bringt, ist höchst wichtig, aber – zu wenig. Eine dichterische Ader treibt ihn an, sein Werk, statt es nach der Zeitfolge oder streng logisch zu ordnen, mit bunt wechselnden Blumen der Sage und des Märchens zu schmücken. Was er da genial einstreut, ein Rest farbigen Reizes von höchstem Werth für die Kenntniss damaligen Glaubens und die Erklärung späterer Dichtungstoffe, der nur nicht in wissenschaftliche. Geschichte gehört, hat die Gesta regum für ihre Zeit mundgerecht gemacht. Arthur ist für Wilhelm ein historischer Held, die Sage von ihm aber nicht glaubwürdig. Auch gegen jene Märchen, wie gegen die Fälschungen von Glastonbury und Malmesbury, die nicht etwa er erst erfand, äussert er bisweilen ein leises Misstrauen. Dass in den letzten Jahren Heinrich’s I. die Gesta so mager ausschauen, mag an Wilhelm’s eifriger Bibliotheksarbeit liegen, die zur Geschichte keine Musse liess; die Historia novella entbehrt der Vollendung. Wilhelm ist kein Schmeichler vor dem Hofe [?]; doch über die Eroberung urtheilt er nur als halber Engländer, angeblich neutral, thatsächlich schwankend und mit deutlicher Missgunst gegen Godwine und Harold.


*Hub. Hall, Court life under the Plantagenets (reign of Henry II.). With 5 col. plates. London, Sonnenschein 1890. 271 p. – Dieses Buch gibt sich bescheiden als historischer Roman, bietet aber ein Culturbild, bei dem jede einzelne Gruppe und Farbe aus genau gleichzeitigen Quellen belegt werden kann. Wie unhistorisch Körner’s Rosamunde, Scott’s Ivanhoe, Meyer’s Heilige mit den Gestalten, den Ideen, dem Kostüm, vollends mit den Thatsachen jener Zeit umspringen, lehrt jede Seite dieses Werkes. Erfunden ist hier, aber auf winzigen Raum beschränkt, nur der verbindende Faden, die Reise eines begüterten Ritters, der alles sieht oder (in etwas alterthümlicher Sprache) hört oder sagt, was Leser lernen soll: Richard von Anesty (dessen Autobiographie in Palgrave’s „Commonwealth“ steht, und der um 1198 starb) ist dieser Held, und 1177 das Jahr, dessen Zustand vorgeführt wird, doch so, dass die Redenden, die nur selten handeln, öfters von den vier vorigen Menschenaltern erzählen.

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_05_396.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)