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der Geschichte und nicht dem Bildungsideal innewohnendes Interesse mitgewirkt.

In der Auswahl des Stoffes zeigt sich eine bezeichnende Vorliebe für Kriegsgeschichte und alles Militärische. Gleich anfangs scheint dem Verfasser zur Kennzeichnung der Regententugenden des jetzigen Kaisers erwähnenswerth, dass derselbe sich oft unerwartet auch in entfernte Garnisonen begibt und die Regimenter alarmiren lässt. Die Männer des Friedens und der Cultur treten hinter den Herrschern und Soldaten vollständig zurück. Auch wo dieser Gesichtspunkt nicht in Frage kommt, herrscht auffallende Ungleichmässigkeit. Einige Deutsche Kaiser, wie Otto II. u. III., Heinrich II., Heinrich V., Heinrich VI., Philipp u. Otto, Adolf v. Nassau, Heinrich VII., Wenzel, bleiben ganz unerwähnt oder verschwinden so gut wie vollständig in einem kurzen Nebensatze. Und darunter sind doch einige der für Geschichts- und Geschichtenerzählung werthvollsten Gestalten. Kaum wird ein Lehr- und Lesebuch, das chronologisch fortschreitet, so verfahren; denn das Ueberspringen ist ihm schwerer.

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Handelt es sich hier um Ungleichmässigkeiten ohne bestimmtere Tendenz, so steht es anders mit der folgenden Bemerkung. In dem ersten Abschnitt tritt die Preussische Geschichte ausschliesslich in den Vordergrund, allgemein-Deutsche Verhältnisse werden kaum berührt. In dem kindlich-empfänglichen Sinn des Schülers werden dadurch die Grundlagen für eine ganz schiefe Auffassung der Deutschen Entwicklung gelegt. Erleichtert wird diese Behandlung naturgemäss durch die regressive Methode, die von der gegenwärtigen Machtstellung Preussens im Deutschen Reiche den Ausgang nimmt und nun ohne viel Zwang der Hohenzollern Leben und Schalten als Kern der neueren Geschichte erscheinen lässt. Wer vom Ende des Mittelalters ausginge, konnte unmöglich so an der Reformation und dem 30j. Kriege oder an Maria Theresia und Joseph II., schwer auch an der gemein-Deutschen Entwicklung der neuesten Zeit vorbeigehen. Diese Verschiebung des Standpunktes ist in diesem Falle natürlich beabsichtigt; sie ist aber auch eine der unwillkürlichen Consequenzen der regressiven Methode und wäre eine Hauptgefahr bei Anwendung derselben auch in den höheren Classen.

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Wie hier die Tendenz hervortritt, bei Anlage des ganzen Unterrichts Preussens Bedeutung zu betonen, so im Einzelnen das Streben nach Verherrlichung der Preussischen Herrscher. So beginnt die Uebersicht über die „Anfänge der Hohenzollernherrschaft in Brandenburg“ 1415–1640 (oder vielmehr 1640–1415) mit der Frage: „Was verdanken wir nun diesen Kurfürsten im Einzelnen?“, worauf die Antwort allerdings mit dem Bekenntniss anhebt: „Georg Wilhelm vermochte nichts gegen das Elend des 30j. Krieges“. Weiterhin wird dann aber den Herrschern alles zum Verdienst angerechnet, was unter ihrer Regierung im Lande geschah. – Im Dämmerlicht dagegen bleiben jene Höhepunkte nationaler Entwicklung liegen, auf denen die treibende Kraft des Volkswillens auch äusserlich sichtbar die Führung übernimmt. So heisst es von Friedrich Wilhelm IV.: „Aller Herzen bewegte der geistvolle Herrscher durch seine schwungvollen Worte bei den Huldigungen in Königsberg und in Berlin; segensreich begann er zu wirken.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_195.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2023)