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dadurch dass zur Bestimmung der Ideen Humboldt’s „ein erhebliches Mass von allgemeiner Begriffsentwicklung gehöre“, und findet dann seinerseits, dass die Ideenlehre sich in nichts von der aphoristischen Geschichtsphilosophie eines Fichte oder Hegel unterscheide. Auf der einen Seite erachtet er es zwar für ein Glück, dass Ranke die Fühlung mit der Philosophie seiner Zeit nicht verloren habe, aber andererseits protestirt er doch zugleich so energisch gegen jede nur irgendwie an metaphysische Speculationen erinnernde Lehre, dass man darin fast ein Zugeständniss an die von ihm aufs heftigste bekämpfte kritisch-scholastische Richtung der neueren Geschichtswissenschaft vermuthen möchte, wenn er sich nicht bereits 1860 in Tomaschek’s Preisschrift über Schiller im Sinne Alexander v. Humboldt’s ausgesprochen hätte.

Ein wissenschaftliches Programm, das nicht zu endlosen Missverständnissen Anlass geben soll, macht es immer wünschenswerth, dass es einmal zur Ausführung gelangt. Bei Humboldt’s Aufsatze schrieb sich die allgemeine Beliebtheit wohl nicht zum kleinsten Theile daher, dass man Humboldt’s Theorie in der Praxis Ranke’s wiederzuerkennen glaubte. In diesem Sinne hatte ich am Schlusse meines Buches Uber „Rousseau und die Deutsche Geschichtsphilosophie“[1] auf Ranke hingewiesen, nachdem ich gezeigt hatte, dass Humboldt es war, der auf idealistischer Grundlage mit allen Constructionen einer apriorischen Geschichte aufgeräumt habe. Das gab nun freilich alsbald auf philosophischer Seite Anlass zu dem Irrthum, dass ich wie die meisten Historiker Ranke’s „Geschichtsphilosophie“ überschätze, obwohl von einer solchen doch kaum die Rede sein kann, man müsste denn, wie Wundt es ausdrückt[2], in „jeder von universellen Gesichtspunkten ausgehenden historischen Behandlung“ schon eine Art Philosophie der Geschichte erblicken. Las ich nun in Aufzeichnungen Ranke’s den Satz, es werde nicht mehr gestritten, wie es sein

  1. Es sei gestattet, an dieser Stelle einen peinlichen Druckfehler zu berichtigen, der mir, da ich die Correctur unter erschwerenden Umständen las, entgangen und sogar unverbessert in das Citat einer Zeitungsrecension gewandert ist! Seite 112 Zeile 9 von unten soll es natürlich heissen „Gesundheit“ statt „Gesamtheit“.
  2. System der Philosophie. Leipzig. 1889. S. 615.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_237.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)