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Briefen zu geben pflegt, unbegreiflich wäre, wenn Schelling’s Schriften vor 1831 einen ähnlichen oder gar einen grösseren Eindruck als Fichte’s Philosophie auf ihn hervorgebracht hätten. Gelesen hatte er ja gewiss eine oder die andere Schrift des Philosophen, aber schon der Umstand, dass Schelling’s Geschichtsphilosophie nie in einem ihr eigens gewidmeten Buche behandelt worden war und zudem alle Metamorphosen seines Systemes getreulich mit durchgemacht hatte, überhob den Historiker der Verpflichtung, als öffentlicher Lehrer auch zu ihr Stellung zu nehmen.

Das Interesse für den Philosophen, dessen einst so beredter Mund seit lange verstummt schien, erwachte in weiteren Kreisen und namentlich an dem Hochsitze der Hegel’schen Philosophie erst dann wieder, als Schelling, der nach Hegel’s Tode unstreitig der hervorragendste Vertreter der idealistischen Philosophie war, in der Vorrede zur Uebersetzung eines Cousin’schen Buches die Ueberwindung der bisherigen rein negativen durch eine positive Philosophie mit gewohnter Feierlichkeit ankündigte. Eben diese Vorrede aber ist die erste und einzige Schrift Schelling’s, die sich in Ranke’s Briefen genannt findet, und zwar auf eine Weise[1], die auch nicht gerade für einen sehr grossen Eindruck spricht.

Auch Schelling’s Berufung nach Berlin hat an diesem gleichgültigen Verhältniss kaum etwas geändert. Dies geschah erst, als Ranke in nahe Beziehungen zu König Maximilian von Bayern trat. Der König hatte sich an seinen philosophischen Freund und Berather kurz vor dessen Tode mit der Frage gewandt, „welche weltbewegenden Ideen voraussichtlicherweise auf die jetzige Zeitrichtung folgen würden“, und Schelling hatte die Beantwortung der Philosophie der Geschichte zugewiesen[2]. Dass sein Lehrer selbst in dem vorgerückten Lebensalter desselben seinen Wissensdurst nicht mehr befriedigen werde, konnte sich der edle Fürst nicht verhehlen. Hatte er sich doch, da Schelling

  1. An Ritter 7. Nov. 1834: „ein bereits geschriebener Brief ist nur desshalb liegen geblieben, weil ich noch über Schelling’s neueste Schrift einiges hinzusetzen wollte, was ich indess selber vergessen habe“.
  2. König Maximilian II. von Baiern und Schelling. Briefwechsel herausgegeben von Trost u. Leist. Stuttgart. 1890. S. 240. Die Frage des Königs vom 30. Nov. 1853, Schelling’s Antwort vom 17. December.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_245.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)