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der Geschichte auftreten, hat Humboldt mit der wünschenswerthesten Deutlichkeit auseinandergesetzt und durch einige Beispiele den Vergleich mit der Praxis Ranke’s ermöglicht.

Die Idee äussert sich danach einmal als Richtung, die von unscheinbaren Anfängen aus sich bald da bald dort der Gemüther bemächtigt, bis sie schliesslich zu einer deutlich erkennbaren historischen Potenz wird. Beispiele für diese Art von Ideen hält Humboldt für überflüssig, weil sie auf der Hand liegen. Freilich wird diese Art meist auf rein materielle oder mechanische Weise erklärt. Allein der Umstand, dass eine Richtung, wie man zu sagen pflegt, in der Luft liegt, so dass sie an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Verhältnissen mit einem Male hervortritt, ist für Humboldt ein untrügliches Zeichen der vollkommenen Unzulänglichkeit jener Erklärungsart.

Vollends unzureichend erweist sich dieselbe gegenüber solchen Erscheinungen, welche vermöge ihres Umfanges und ihrer Erhabenheit durch die ihnen vorausgehende Entwicklung und durch die begleitenden Umstände wohl in ein helleres Licht gesetzt, aber niemals daraus abgeleitet werden können. Auch Ideen dieser Art entstehen keineswegs aus dem Nichts. Jede Entdeckung hat ihre Vorgeschichte. Aber „wenn der anfachende Odem des Genies in Einzelnen oder Völkern fehlt, so schlägt das Helldunkel glimmender Kohlen nie in leuchtende Flammen auf.“ Vergebens spürt man dem allmählichen Wege nach angesichts der Vollendung, in welcher Sprache, Poesie und bildende Kunst in Griechenland auf einmal dastehen. Wer in diesem wie in ähnlichen Fällen von einem unberechenbaren, unmittelbar schöpferischen Fortschreiten nichts wissen will, verbannt aus der Weltgeschichte recht eigentlich die Wirkungen des Genies oder schreibt fälschlich der Civilisation und Cultur etwas zu, was aus ihnen durchaus nicht hervorgehen kann, sondern durch eine Kraft gewirkt wird, welcher sie selbst ihr Dasein verdanken.


Hätte Lorenz diese Erläuterungen Humboldt’s berücksichtigt, so wäre es ihm wahrscheinlich sehr schwer gefallen, seine These durchzuführen. Wie Humboldt von Richtungen spricht, so versteht Ranke unter den sogenannten leitenden Ideen nichts anderes als „die herrschenden Tendenzen in jedem Jahrhundert“[1]. Auf

  1. Epochen S. 7.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_251.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)