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Einwendungen, welche auch J. E. Kuntze[1], und zwar anscheinend unabhängig von Kaufmann, erhoben hat. Es liegt nicht im Plane meiner Kritik, auf alle fraglichen Momente einzugehen: wenn das ganze Gebäude stürzt, kommt es nicht darauf an, ob es in allen Theilen schadhaft ist; und es stürzt, wenn jene Grundanschauungen, mit denen wir uns beschäftigten, sich als unhaltbar erwiesen haben.




Ich muss aber den Widerspruch gegen Sohm’s Arbeit noch allgemeiner und tiefer fassen.

Indem Sohm sich jener weittragenden Constructionen zur Erklärung der rechtsgeschichtlichen Vorgänge bedient, macht er stillschweigend eine principielle Voraussetzung, welche durchaus nicht zugegeben werden kann. Er setzt nämlich voraus, dass die betreffenden Rechtsanschauungen dem Bildungsgrade und der juridischen Denkweise jener Zeiten zugänglich gewesen seien. Die Frage, ob das in der That anzunehmen ist, lässt sich aber nicht von der Hand weisen, da, wie wir gesehen haben, die Existenz jener Rechtsanschauungen durch irgend welche Zeugnisse der Zeit, in denen sich dieselben kundgäben, nicht nachweisbar ist. Man wende nicht ein: ihre Existenz wird dadurch erwiesen, dass sie sich in damaligen Rechtsvorgängen wirksam zeigen. Es ist zunächst der heutige Forscher, der sie als die Elemente solcher Wirkungen abstrahirend zu erkennen meint, und die Richtigkeit dieser Erkenntniss hängt davon ab, inwieweit es ihm gelingt, darzuthun, dass thatsächlich diese und nur diese Elemente wirksam gewesen sind. Ich glaube gezeigt zu haben, dass Sohm dies bei weitem nicht gelungen ist, und selbst wenn man seinen Deductionen zustimmt, wird man wenigstens zugeben müssen, dass sie nicht die einzig mögliche Motivirung und Erklärung der betreffenden Rechtserscheinungen darbieten. In solchem Falle ist die Vorfrage geboten, ob der Forscher überhaupt berechtigt ist, solche Rechtsanschauungen als wirksam anzunehmen, die er nicht darauf hin geprüft hat, ob sie in der betreffenden Zeit wahrscheinlich oder auch nur möglich waren. Wie die gesammten

  1. Die Deutschen Stadtgründungen oder Römerstädte und Deutsche Städte im Mittelalter, Leipzig 1891, ein Buch, das auch nicht frei von phantastischen Combinationen ist. G. Schmoller, JbGVV 1890, S. 1001 f. constatirt nur ganz kurz in einigen Hauptpunkten seinen Widerspruch.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_268.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)