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Nach alledem wird das Urtheil berechtigt sein, dass beide Gruppen – hie Lambert, dort der Altaicher und die übrigen Berichte – nicht zwei verschiedene Versionen eines und desselben Vorganges darstellen, sondern sich gegenseitig ausschliessen; folglich muss die eine von beiden falsch sein. Wem wir dieses Prädikat zuerkennen müssen, kann nicht zweifelhaft sein, zumal die Erzählung unseres Autors, wie aus der Anmerkung hervorgeht, durchaus keinen Anspruch auf innere Wahrscheinlichkeit erheben kann. Ferner berücksichtige man, was wir über Ursache (Diss. S. 95 und oben S. 326) und Folge (S. 321) des Kaiserswörther Attentates bemerkt haben.

Gibt es nun aber für die Entstehung seines Berichtes eine einigermassen wahrscheinliche Erklärung? Jedenfalls ist von einer absichtlichen Fälschung abzusehen; wenigstens ist kein Grund ausfindig zu machen, der Lambert veranlasst haben könnte, die gewaltsame Wegführung in eine listige Entführung umzugestalten. Er kann seiner Darstellung nach von einem gewaltsamen Raub Heinrich’s überhaupt nichts erfahren haben. Für das aber, was ihm zugetragen wurde, lässt sich eine Vermuthung anführen, sofern man sich von dem Standpunkte, unserem Autor die Erfindung aller Sonderheiten zuzuschreiben,

    ausreichender Menge vorhanden, hatte doch Anno selbst mehrere mitgebracht. Warum verfolgt man die Flüchtigen nicht? Nur jammernd und klagend folgt die „cetera multitudo“, die ans Land übergesetzt ist, dem davonfahrenden Schiffe; Hülfe hat man nicht für den König. (Das „quod regia maiestas violata suique impos facta foret“ ist übrigens typisch. Diss. S. 104.) – Aeusserst merkwürdig ist die Bemerkung Lambert’s: „Qui [sc. rex] dum quadam die post solemnes epulas factus esset hilarior (!)“; bedurfte es denn eines solchen Mittels, um einem zwölfjährigen Knaben etwas Wunderbares zu zeigen? Ja, Anno soll denselben sogar zur Besichtigung überredet haben, was bei dem augenblicklichen Zustande des Knaben leicht war! (Facile hoc persuasit puero.) – Welch einen complicirten Mechanismus, welch ein Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der niederen Organe bedingt aber erst das Folgende! Die Instruction der Ruderknechte setzt voraus, dass sie genau wussten, man macht den Knaben „hilarior“ und bringt ihn heute zum Kahn; zum Abfahren bereit sitzen sie in dem offenen Rheinkahn – als einen solchen müssen wir uns nämlich das Schiff Anno’s vorstellen. Niemand sieht darin ein verdächtiges Zeichen. Wie sollen wir uns aber erst vorstellen, dass sich alle Verschworenen – hoch und niedrig (socii ac ministri) zugleich mit dem König auf das Schiff drängten, sonst aber Niemand, der bereit war, den Knaben zu befreien?

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_344.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)