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Geschichtenerzählen stecken und thut zur Förderung wissenschaftlichen Geistes weit weniger als sie vermöchte. Um das zu bessern, sind Quellenbücher in der Hand des Schülers ein sehr wesentliches Hilfsmittel. Es würde sich dann weiter fragen, ob es ihr Zweck sein soll, den Schüler auch zur Bethätigung selbständiger Kritik in Einzelfragen anzuregen. Auch hier dürfte die Parallele mit den Naturwissenschaften zutreffen. Gleichwie manche Schüler anfangen, sich selbständig mit einfachen physikalischen oder chemischen Experimenten zu beschäftigen, so mögen andere, die ihre Neigung zu historischen Studien treibt, die ersten Schritte auf dem Gebiete der Quellenbenutzung versuchen. Geschieht das auch jetzt schon hie und da, so wird die bequemere Gelegenheit zur Quellenlectüre doch die Bethätigung solcher Neigungen sehr erleichtern und sie in weiterem Umfange wachrufen. Es versteht sich aber von selbst, dass alles dabei fern zu halten ist, was an Zwang erinnert. Der Lehrer soll solche Bestrebungen von keinem Schüler fordern, kaum einmal bei dem Begabteren direct veranlassen, aber er soll ihnen freien Spielraum gewähren und Acht darauf geben, dass sie in den richtigen Bahnen bleiben und nicht in grossthuerische Spielereien ausarten. Es liegt hier eine grosse, aber nun einmal unvermeidliche Schwierigkeit vor: die Fähigkeit unbefangener Kritik und selbständigen Denkens zu entwickeln und dabei doch zu verhüten, dass mit den ersten Regungen dieses kritischen Vermögens sich eine lächerliche Ueberhebung einnistet, die der freien Weiterentwicklung in den Weg tritt. – Wir begreifen es wohl, wenn aus diesen Rücksichten der praktische Schulmann sich etwas misstrauisch gegen die Quellenlectüre des Schülers verhält, wir geben weiter unten auch solchen abweichenden Anschauungen das Wort und sind durchaus bereit anzuerkennen, dass der Pädagoge an solchen Handbüchern auch im einzelnen noch strenge Kritik zu üben hat, aber wir begrüssen dieselben doch an dieser Stelle vom Standpunkt der Geschichtswissenschaft aus als Hilfsmittel zur Anregung und Verbreitung kritischen Sinnes und historischer Auffassungsweise, mag sich nun die Kritik des Schülers auch hie und da einmal gegen den Lehrer kehren. Der tüchtige Lehrer wird solchen kritischen Regungen schon gewachsen sein und es verstehen, gleichzeitig die Entwicklung geistiger Freiheit zu fördern und doch seine berechtigte Autorität zu wahren.

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In seiner vor Jahresfrist erschienenen Schrift Quellenlectüre und Geschichtsunterricht, eine pädagog. Zeit- und Streitfrage“ (s. Bibliogr. 30) gibt Max Schilling gewissermassen ein Vorwort zu seinem „Quellenbuch z. G. d. Neuzeit“ (s. Bibliogr. 581). Er will die Nothwendigkeit urkundlicher Quellenlectüre im Geschichtsunterricht nachweisen. Dieser Nachweis ist ihm nicht gelungen. Er zeigt nur, dass die Beschäftigung mit den Quellen den Unterricht fördern kann. Letzteres wird Niemand leugnen. Jeder verständige Lehrer wird an geeigneten Punkten dem Schüler ebenso wie Karten und Bilderwerke auch wichtige Urkunden zur Kenntniss bringen. Hierzu ist das Schilling’sche Quellenbuch sehr geeignet. Will der Lehrer aber jeden Abschnitt der Geschichte so behandeln, wie Sch. es in seiner „Lehrprobe“ S. 37 ff. vorschreibt, so wird er trotz aller Beschränkung des Stoffes, die Sch. vorschlägt, um Zeit zu schaffen, in seinem Pensum nicht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_407.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)