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der Stämme das neue, einheitliche Königsrecht zu einem Mittel der Centralisation; Karl der Grosse hatte dann das bewusste Streben, die Ungleichheiten des Rechtes zwischen den einzelnen Landestheilen überhaupt zu beseitigen. Noch mehr: auch auf den übrigen Culturgebieten sollten unter ihm gleiche Befehle überall befolgt, gleiche Fortschritte allenthalben gemacht werden. Dieselben Ritualbücher sollten dem Dienst aller Kirchen zu Grunde liegen, als ausnahmsloser Segen sollte die allgemeine Schulpflicht allen Theilen des Reiches zu Gute kommen.

Doch wie weit blieb die Wirklichkeit hinter dem Idealbilde zurück, dessen ebenmässige Linien dem grossen Kaiser vorschwebten. Die Volksrechte, welche nach kaiserlichem Plane zu Gunsten eines allgemeinen Reichsrechtes allmählich in den Hintergrund gedrängt werden sollten, lebten noch Jahrhunderte fort; die kaiserlichen Verordnungen zerflogen im Sturm des 9. Jahrhunderts wie lose Blätter zur Herbstzeit, nicht einmal im Archive des Reiches befand sich deren vollständige Sammlung. Die Verwaltung, eine Zeit lang stramm organisirt, verfiel dem schleichenden Gift des Lehenswesens – und auch dieses wiederum verbreitete sich nur sehr ungleich und in sehr verschiedener Schnelligkeit in den einzelnen Reichstheilen, am spätesten im Deutschen Osten.

In Ostfranken[WS 1] überhaupt kam es schon in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts dazu, dass die Gesetzgebung erstarrte und das verwaltungsmässige Schreibwesen der Centralstelle einschlief. Die Ottonische Zeit hat beide dann nur in mässigen Grenzen wieder belebt und erweckt; im Ganzen bestand auch im 10. Jahrhundert keine Staatsverwaltung in unserem Sinne: alles was von oben herab geschah, beruhte auf persönlichen Anregungen und Kräften. Denn eben darin beruht die Eigenheit des mittelalterlichen Staatswesens vor dem spät classischen wie modernen, dass es klare, objective Grenzen staatlicher Wirksamkeit nicht kennt, – freilich ihrer auch nicht bedarf, um etwa allzustarken subjectivistischen Neigungen der Individuen entgegenzutreten, da diese noch nicht vorhanden sind.

Indem sich aber nun die spätkarlingische, noch mehr die frühottonische Periode in Deutschland von den absolutistischen Fesseln des Universalstaates befreite, tauchten aus der Verschüttung langer Zeiten die Germanischen Grundlagen staatlicher Verfassung von Neuem empor. Sie alle wiesen auf die Grundlage der Stämme: erst mühsam und nur in bundesstaatlichem Sinne

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Ostfrankenreich (lateinisch regnum francorum orientalium) bezeichnet man das aus der Teilung des Fränkischen Reiches im Jahre 843 hervorgegangene östliche Teilreich; Vorläufer des späteren Heiligen Römischen Reiches.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_002.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)