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Die Anfänge Constantins des Grossen.[WS 1]
Von
Otto Seeck.


Am 1. Mai des Jahres 305 vollzog sich gleichzeitig in Mailand und Nicomedia eine Ceremonie, wie das Römerreich noch keine gesehen hatte. Freiwillig legten zwei Kaiser die Herrschaft nieder und übertrugen sie in Frieden auf Nachfolger, die sie selbst gewählt und lang erprobt hatten. Seit mehr als hundert Jahren hatte kein Herrscher so lange regiert, wie Diocletian und Maximian; fast keiner war eines natürlichen Todes gestorben; die meisten der sich schnell folgenden Thronwechsel waren durch Bürgerkriege eingeleitet worden. Diese harte Zeit der inneren Wirren, welche das Reich bis in seine Grundfesten erschüttert hatten, schien jetzt abgeschlossen, und freudig blickte man einer ruhigen Zukunft entgegen.

Diese Hoffnung sollte sich freilich als trügerisch erweisen; doch dass man sie überhaupt hegen konnte, dass ein Herrscher sich zwanzig Jahre lang auf dem Thron behauptet und durch Adoptionen eine Dynastie gegründet hatte, der niemand die Anerkennung versagte, war damals schon ein grosser, verheissungsvoller Erfolg. Diocletian, dem man ihn zu danken hatte, war ein wunderlicher Ideologe, ein grüblerisches Halbgenie, reich an Einfällen, aber arm an Menschenkenntniss und praktischer Lebensweisheit, einer von jener Art, aus der heutzutage die gewerbsmässigen Erfinder hervorgehen. Als Rathgeber eines klugen und selbständigen Fürsten, der sich durch die Ueberfülle seiner geistvollen Ideen anregen zu lassen, aber auch sie zu sichten und das Unreife auszuscheiden verstand, wäre er trefflich an seinem Platze gewesen; als Kaiser selbst war er seiner Aufgabe, so ernst er sie fasste und so pflichtgetreu er sie zu erfüllen strebte, doch nicht ganz gewachsen. Aengstlich zugleich und vermessen, jeder

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hinweis: In diesem Artikel können zwei verschiedenartige Behandlungen des Genitiv-s beim Namen des Constantin beobachtet werden. Im ersten Teil des Artikels wird sowohl in der Überschrift als auch im Text die Schreibung „Constantins“ verwendet. Im zweiten Teil des Artikels wird dagegen sowohl in der Überschrift als auch im Text (fast ausschließlich) die Schreibung „Constantin’s“ gebraucht. Die Schreibung mit Apostroph taucht auch im Inhaltsverzeichnis der DZfG Bd. 7 für diesen Artikel auf. Im 19. Jahrhundert gab es noch keine einheitliche Regelung dafür, erst mit der Zweiten Orthographischen Konferenz (1901 in Berlin) wurde die Verwendung des Apostrophs zur Abtrennung des Genitiv-s bei Eigennamen weitgehend abgeschafft. In der Transkription wird in jedem Einzelfall nach der Vorlage geschrieben, für den WS-Link und in der Infobox wird nach der Überschrift des ersten Teils des Artikels vorgegangen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_041.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)