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Denn was den Charakter dieses merkwürdigen Mannes vor allem auszeichnete, war ein tiefgewurzeltes Pflichtgefühl und ein religiöses Empfinden, das freilich die Farbe seiner Zeit und seines rohen Standes an sich trug, darum aber nicht minder ernst und fromm war. Gleich den meisten grossen Kriegshelden vertraute Constantin blindlings seinem Glücke; wie aber fast alle Menschen seiner Epoche von der Deisidämonie in einer oder der andern Form beherrscht wurden[1], so hüllte sich auch sein Fatalismus in ein religiöses Gewand. Nach einigem Tasten und Schwanken entwickelte sich in ihm die Ueberzeugung, dass er das erwählte Rüstzeug des höchsten Gottes sei, berufen dessen Feinde auszutilgen und sein Reich auf Erden zu verbreiten. Es war der klarste Ausdruck derselben, wenn er sich später in seinem Palaste auf einem grossen Gemälde darstellen liess, wie er den alten Drachen unter die Füsse trat und mit der Lanze durchbohrte[2]. Auf andern Bildnissen war er in der Stellung eines Betenden gemalt, und viele seiner Münzen zeigen ihn mit zum Himmel gerichteten Augen[3]. Durch Träume und Visionen, welche

  1. Die Modernen sehen in Constantin einen Vertreter des „aufgeklärten Despotismus“ nach dem Muster Napoleons oder Friedrichs des Grossen; merkwürdiger Weise hat aber keiner den Beweis für erforderlich gehalten, dass eine solche Geistesrichtung zu seiner Zeit überhaupt möglich war. Man weise mir einen einzigen Menschen des vierten Jahrhunderts nach, der nicht abergläubisch gewesen wäre, und ich will mich der herrschenden Meinung bereitwilligst anschliessen.
  2. Euseb. vit. Const. III 3.
  3. Dass viele Münzbildnisse Constantins aus seiner späteren Zeit sich durch die Stellung des Kopfes und der Augen sowohl von denen aller andern Kaiser als auch von seinen eigenen aus früherer Zeit sehr sichtbar unterscheiden, ist wohlbekannte Thatsache (Abbildungen bei Cohen VII² S. 240; 256; 311; Z. f. Numism. VI Tafel I u. sonst). Wie die Christen diese neue Form des Bildnisses auffassten, zeigt Euseb. vit. Const. IV 15, und diese Deutung ist so natürlich, dass sie in einem Zeitalter lebhafter religiöser Erregung sich jedermann von selbst aufdrängen musste. Dass Constantin sie nicht beabsichtigt habe, ist also eine höchst unwahrscheinliche Annahme, die sich freilich ebenso wenig widerlegen wie beweisen lässt. Alle Aeusserungen seiner religiösen Gesinnung finden die Modernen zweideutig, weil sie sie zweideutig finden wollen. Zu diesem Zwecke ist sogar das Monogramm Christi zu einem Symbol des Sonnencultus gestempelt worden. Constantins Zeitgenossen dagegen haben von jener Zweideutigkeit nie etwas bemerkt, sondern Christen wie Heiden sind sich über die Stellungnahme des Kaisers in dem Streite der Religionen vollkommen klar gewesen. Die Vertreter des entschiedenen Heidenthums, Julian, Eunapius, Zosimus, verfolgen ihn daher mit dem ausgesprochensten
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)