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durch seinen weitverbreiteten Grundbesitz in allen Provinzen Einfluss besass, hielt noch zum allergrössten Theil an der alten Religion fest, und ebenso die meisten Vertreter der Wissenschaft und Literatur, da sie mit dem Glauben des Homer und Vergil auch das Verständniss ihrer Werke gefährdet meinten und durch den Hass der Christen gegen die Künste der Rhetorik die Wurzeln ihres eigenen Ansehens untergraben sahen. Also fast alles, was im Reiche durch Bildung oder Geburt, Besitz oder Tapferkeit Macht und Einfluss hatte, gehörte in seiner grossen Masse zur Partei des Heidenthums. Dem gegenüber stand nur ein Theil des städtischen Pöbels und des Mittelstandes, der damals politisch so gut wie gar nichts bedeutete. Und diese ärmliche Schaar war noch dazu durch Diocletians Verfolgung von allen Elementen gereinigt, welche den Trieb in sich fühlten, etwas in der Welt vorzustellen. Der treugebliebene Rest lebte nur in der Hoffnung auf das Jenseits und kümmerte sich principiell nicht um die Politik. Wohl hielten die Christen eng zusammen, soweit sie nicht durch das Sectenwesen getrennt waren; wohl bildeten sie einen Staat im Staat, aber nicht um diesen zu beherrschen, sondern nur um sich jeder Berührung mit ihm möglichst zu entziehen. Welche Stütze seiner Macht konnten diese weltvergessenden Heiligen einem Kaiser wohl gewähren? Wahrlich es gehörte der Heldenmuth und das Gottvertrauen eines Constantin dazu, um diese Gemeinschaft der mächtigen Hilfe vorzuziehen, welche die Anhänger des Heidenthums darbieten konnten.

Freilich war die Gefahr ihrer Gegnerschaft nicht ganz so gross, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Zwar Adel und Literatur hatten im Christenthum längst ihren Feind erkannt, und wo sie keine Lauscher fürchteten, werden sie bitter über den Kaiser geschmäht haben, welcher die Pöbelreligion zu der seinen gemacht hatte[1]. Denn dass er in einer Zeit so scharf ausgesprochener religiöser Gegensätze zwischen beiden Glaubenslehren habe durchlaviren können, ohne dass ihre Bekenner recht merkten, welcher er eigentlich angehöre, ist eine höchst naive Anschauung. Aber des ohnmächtigen Zornes der vornehmen und gebildeten Heiden konnte der despotische Herrscher lachen, so lange er seiner Soldaten sicher war. Der unschuldige Barbar aber sah in Christus und seinem hohen Vater wahrscheinlich nur zwei neue Götter, denen er neben Wodan und Jupiter, Mithras

  1. Euseb. laud. Const. 11, 3.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_095.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)