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von Ranke[1], Avenel[2] und Goll[3] behandelte Frage der gefälschten Briefe des Grafen d’Estrades – denen zufolge Richelieu, aus Erbitterung gegen das Englische Königshaus, besonders die Königin, Ende 1637 durch Estrades Verbindungen mit den aufständischen Schotten angeknüpft haben soll – wieder aufgenommen, ohne jedoch seine Vorgänger im wesentlichen überholt zu haben. Ich glaube nun, die bisher noch nicht erkannte Person des Fälschers und die ebensowenig erkannte Tendenz der Fälschung aufzeigen zu können.

Es giebt eine unanfechtbare Ueberlieferung, die auf den Verfasser der Briefe[4] hinweist; auch innere Gründe lassen, wie unten gezeigt werden wird, denselben errathen. Die Ueberlieferung findet sich in den Memoiren der Frau von Motteville. Diese Dame liebt es zuweilen in ihren trefflichen unparteiischen Memoiren den Lauf der Erzählung durch Excurse zu unterbrechen: so hat sie in die von ihr aufgezeichneten Denkwürdigkeiten des Jahres 1644[5] einen Rückblick auf die Revolutionen in England seit Heinrich VIII. eingeschoben. Dieser beruht auf den Angaben der Englischen Königin, die 1644 an den Französischen Hof kam und die Motteville sich zu ihrer Vertrauten auserkor. Ihm angefügt ist ein Abschnitt „Quelques particularités de la négociation du comte d’Estrades en Angleterre, en l’année 1637 [so!]“, verfasst auf Grund der Instruction und Briefe Richelieu’s an Estrades, sowie des Antwortschreibens des letzteren (Lettres, Mémoires a. a. O. p. 1 f.), welche auf die aus der Luft gegriffene Mission des Grafen nach London Bezug haben. Estrades hat sie der Memoirenschreiberin selbst vorgelegt laut ihrer bestimmten unanfechtbaren Angabe. Estrades ist, wie auch andere Staatsmänner, wiederholt Gewährsmann der Motteville[6] gewesen. In dem Auszuge, den die Motteville von den genannten Briefschaften des Grafen giebt, sind manche Wendungen aus den Falsificaten direct übernommen, so dass jeder Verdacht ausgeschlossen ist. Aber das wichtigste aus den Briefen des Grafen d’Estrades hat ihr Auszug nicht: von den Verbindungen, die den Lettres zufolge Richelieu durch den Grafen mit den aufständischen Schotten 1637 anknüpfte, fehlt jedes Wort darin[7]. Dieses ist um so auffälliger, als die Dame

  1. Sämmtliche Werke XXI p. 141 f.
  2. Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’état du cardinal de Richelieu, hrsg. von Avenel, V p. 885 f.; VIII p. 135 f.
  3. Revue historique III, 283 f.; IV, 278 f.
  4. Lettres, Mémoires et Négociations de Monsieur le Comte d’Estrades. London 1743. I p. 1 f. Ich citire nach dieser Ausgabe.
  5. Collection des mémoires etc. hrsg. von Petitot Ser. II. T. 37 p. 89 f.
  6. Collect. des mém. a. a. O. XXXVIII p. 211; XLI p. 148 f.; 177.
  7. Irrthümlich ist die Auffassung von Salomon a. a. O. p. 35. Ich kann hier nicht näher darauf eingehen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_148.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2023)