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so unerwartet und erstaunlich gewesen, dass es in jener abergläubischen Zeit gewiss von den Meisten dem Eingreifen übernatürlicher Mächte zugeschrieben wurde. Aber die Dämonen, welche den Tyrannen schützten, hatten ihre Gewalt bisher nur gegen Götzendiener gezeigt; es lohnte wohl des Versuches, ob sie auch gegen einen Christen etwas vermöchten oder ob der Gott des neuen Glaubens ihnen überlegen sei. Solche Gedanken mochten Constantin damals beschäftigen; was aber den wachenden Geist erfüllt, das geht auch in die Träume über, und in der körperlichen Erscheinung, mit welcher sie das Gedachte umkleiden, gewinnt es den Charakter göttlicher Offenbarung. So zog denn der Kaiser blindlings seinem Sterne nach; er wusste, dass er siegen werde, nicht weil dies nach menschlicher Berechnung wahrscheinlich oder selbst nur möglich gewesen wäre, sondern weil seine Soldaten das Monogramm Christi auf ihren Schilden trugen und, wie die Stimme eines Höheren verkündet hatte, an dieses Zeichen der Sieg geheftet war. Und seine heidnischen Landsknechte blickten vertrauensvoll auf den neuen Schmuck ihrer Waffen, dessen Bedeutung sie kaum verstanden. Sie hielten ihn für ein magisches Zeichen, an dessen Wunderkraft sie nicht zweifelten, da ihr grosser Feldherr bis jetzt auch unter den schwierigsten Umständen immer siegreich gewesen war. Und sein Vertrauen liess das Glückskind auch diesmal nicht zu Schanden werden: das ganz Unerwartete, ja fast Unglaubliche geschah. Maxentius, der sich bisher vor jedem Angriff hinter seinen unbezwinglichen Mauern verkrochen hatte, führte diesmal sein Heer in’s freie Feld und lieferte es in einer Stellung, welche seine Niederlage schon im Voraus entschied, dem kühnen Gegner zur Vernichtung aus.

Bis zum letzten Augenblick hatte er an dem Plane festgehalten, den Angriff an der Aureliansmauer zerschellen zu lassen; noch während der Feind herannahte, hatte er begonnen, sie mit einem Graben zu umziehen, der freilich nie vollendet wurde[1]. Um den Muth seiner Soldaten nicht zu lähmen, hatte er zwar alle Nachrichten vom Kriegsschauplatze unterdrückt, zugleich aber öffentlich den höhnischen Wunsch ausgesprochen, dass Constantin nur vor den Thoren erscheinen möge, wo ihm sein Untergang

  1. Chronogr. v. 354, S. 148.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_315.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)