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aus den Papieren des Todten. So verlangte er denn die Auslieferung des Schuldigen. Aber Licinius wies diese gerechte Forderung zurück und bekannte damit auch seine eigene Mitschuld. Da er jetzt mit den Truppen der Donaugrenze die des Orients vereinigte und noch dazu einen ansehnlichen Theil des Heeres besass, welches früher unter Maxentius gefochten hatte, meinte er sich seinem Gegner so weit überlegen, dass er ohne Furcht den Entscheidungskampf aufnehmen könne. Aus seiner feindlichen Gesinnung machte er gar kein Hehl mehr; an der Italischen Grenze, wo der Gegensatz der beiden Reichshälften in Folge ihrer nahen Berührung am schärfsten zum Ausdruck kam, begannen seine Unterthanen schon die Statuen Constantin’s umzuwerfen[1]. Da erkannte dieser, dass ein Bruch unvermeidlich sei. Um das Diocletianische System zu erhalten oder wieder herzustellen, war er bis zur äussersten Grenze der Nachgiebigkeit gegangen. Er hatte sich selbst in grossmüthigem Leichtsinn geschwächt und seinem Mitregenten ein Uebergewicht gewährt, das dieser jetzt gegen ihn aufzubieten im Begriffe war. Endlich sah er ein, dass mit diesem Genossen ein Zusammenwirken in der Reichsregierung nicht möglich sei, und schweren Herzens ergriff er die Waffen, um zum ersten Male für seine Alleinherrschaft zu kämpfen.

Sobald der Bürgerkrieg beschlossen war, dachte Constantin nur noch daran, ihn schnell zur Entscheidung zu bringen. Das Hauptheer des Licinius stand wahrscheinlich noch im fernen Orient, wohin es den fliehenden Maximinus verfolgt hatte. Ehe der Feind es heranziehen konnte, musste die verhältnissmässig kleine Truppenzahl, welche in Illyricum zurückgeblieben war, über den Haufen gerannt und, wenn möglich, alles Land bis zum Bosporus gewonnen werden. Dort angelangt, konnte man auch einen sehr überlegenen Gegner am Uebergange hindern und gewann Zeit, um sowohl aus den alten als auch aus den neueroberten Provinzen Verstärkungen heranzuziehen und dann mit grösserer Macht den Kampf nach Asien hinüberzuspielen. So eröffnete denn Constantin den Krieg mit einem Heere von nur 20 000 Mann, weil eine stärkere Masse die Schnelligkeit der Bewegung, auf welche alles ankam, gemindert hätte.

  1. Anon. Vales. 5, 14; vgl. Euseb. h. e. X, 8, 5; vita Const. I, 47, 2; 50.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_340.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)