Seite:De DZfG 1892 07 344.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wegfing[1]. Licinius hatte in der Nacht, welche der Schlacht bei Jarba folgte, nicht seine natürliche Rückzugsstrasse nach Süden eingeschlagen, sondern war von dem Dreiwege, auf welchem der Kampf stattfand, nordwestlich nach Beroea gegangen, so dass er jetzt zwischen Constantin und der Donau stand[2].

Dieser Zug schnitt den gar zu hastigen Verfolger von seiner Operationsbasis und von allen Verstärkungen, welche er etwa aus Gallien oder Italien erwarten mochte, vollständig ab und brachte ihn, falls das orientalische Heer endlich heranrückte, zwischen zwei Feuer. Aber andererseits führte er auch für Licinius selbst sehr ernste Gefahren mit sich, welche dieser im Augenblicke des schnell gefassten Entschlusses übersehen oder zu gering geschätzt haben mochte. Wenn Constantin sich nach Byzanz hineinwarf und vielleicht auch die starke Flotte, welche er vor zwei Jahren gegen Maxentius aufgestellt hatte, herbeikommen liess, um mit ihr den Bosporus und Hellespont zu sperren, so waren die Truppen des Orients von Europa abgeschnitten und Licinius konnte seinerseits von Italien aus im Rücken gefasst werden. Zudem mochte sein Heer, das durch die Schlacht hart mitgenommen war und nachher noch manchen anstrengenden Marsch durch bergige Gegenden mitten im tiefsten Winter hatte ausführen müssen, nicht im besten Zustande sein. Aber andererseits hinderte die Jahreszeit auch Constantin, seine Flotte schnell heranzuziehen, und ob er das feste Byzanz werde einnehmen können, war für ihn, der die Stärke der Besatzung nicht kannte, wohl zweifelhafter, als für Licinius, der wahrscheinlich von hier wie aus den anderen thrakischen Städten die Truppen zur Verstärkung seines Feldheeres an sich gezogen hatte. So fanden sich beide Gegner durch jenen kühnen Schachzug in eine äusserst gefährliche Lage versetzt, und keiner sah daraus einen anderen Ausweg, als den Friedensschluss. Da aber Licinius zuerst einen Gesandten schickte und dieser eine höchst gedrückte Sprache führte, so merkte Constantin, dass jenem in der von ihm selbst geschaffenen Situation keineswegs wohl sei, und trat trotz seiner eigenen Besorgnisse von Anfang an als der stolze Sieger auf. Zur Verzweiflung durfte er seinen Feind allerdings nicht treiben und musste daher auf die Alleinherrschaft

  1. Petr. Patric. ed. Bonn. p. 129.
  2. Anon. Vales. 5, 17; 18.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_344.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)