Seite:De DZfG 1892 08 006.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

in ihrer überwiegenden Mehrzahl nicht freiwillig, sondern gezwungen durch die Noth des Peloponnesischen Krieges in die Stadt übergesiedelt sind. Wer diesen Widerspruch leugnet, mag eben so gut leugnen, dass Schwarz und Weiss verschiedene Farben sind.

Zu den Bürgern, welche entsprechend der von Aristeides gegebenen Anregung vom Staatsdienste gelebt haben sollen, gehörten auch sechstausend Richter; so erzählt unser Autor in Cap. 24. An einer späteren Stelle (Cap. 27) erzählt derselbe Verfasser, dass der Richtersold erst durch Perikles eingeführt worden sei. Diesen Widerspruch sucht Gomperz[1] durch folgende Sätze zu rechtfertigen: „Dass eine geschichtliche Darstellung bei einem entscheidenden Einschnitt Halt macht und eine ganze nachfolgende Entwicklung vorwegnimmt, – ist ein vornehmes Kunstmittel des historischen Styles. Freilich darf der Leser über die Thatsache dieser „„Vorwegnahme““ nicht im Unklaren bleiben. Das ist jedoch hier so wenig der Fall, dass an der Spitze jener Kategorien, die in Folge der von Aristeides inaugurirten Politik im Laufe der Zeit aus Reichsmitteln ihren Unterhalt zogen, die Geschworenen man möchte sagen wie ein Warnungszeichen aufgepflanzt erscheinen.“ – Das heisst mit anderen Worten: Je verkehrter etwas ist, desto eher darf es ein Historiker erzählen, denn desto weniger braucht er zu fürchten, dass man es ihm glaube.

Wenn der Verfasser unserer Schrift diesen Grundsatz befolgte, so hat er vielleicht auch darauf gerechnet, dass man die von ihm gegebene Liste der vom Staate besoldeten Bürger nachprüfen und die Fehler, von denen diese Liste wimmelt, bemerken würde. Einer unter diesen Fehlern wird genügen, um die Haltlosigkeit der ganzen Berechnung deutlich zu machen. Die sechstausend Richter werden als Bürger erwähnt, die ohne Privatvermögen ausschliesslich von ihrer staatlichen Besoldung lebten. Nun haben aber niemals in Athen sechstausend Bürger als Geschworene ihren Unterhalt gefunden. Denn von den sechstausend, die für den Dienst in den Volksgerichten ausgeloost wurden, war an jedem einzelnen Tage nur ein Theil in Thätigkeit. Und der Sold eines Tages reichte knapp für den Unterhalt dieses Tages

  1. Die Schrift vom Staatswesen der Athener und ihr neuester Beurtheiler S. 34.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_006.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)