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subjectiver Natur ins Feld geführt. Man beruft sich auf den Eindruck des Ganzen. Gerade die Willkür, mit welcher der Stoff behandelt wird, soll für Aristoteles beweisen; nur eine Autorität wie er habe sich erlauben dürfen, so nach Laune und Belieben mit den Thatsachen umzuspringen. Ich behalte vorläufig die optimistische Meinung, dass Aristoteles die Pflichten kannte, welche ihm sein Ansehen auferlegte. Wenn er wusste, dass seine Ansicht auch ohne Begründung für Viele massgebend war und dass sein Irrthum Viele von der Wahrheit ableiten konnte, hatte er doppelten Anlass, vorsichtig zu sein und nichts zu äussern, was geeignet war, falsche oder schiefe Vorstellungen zu erwecken.

Insbesondere soll sich in der warmen Parteinahme für Theramenes die Subjectivität des Philosophen aussprechen. Recht subjectiv ist die Art, wie Theramenes gerechtfertigt wird, allerdings. Aber das Subject ist nicht Aristoteles. Der Verfasser selbst beruft sich für sein günstiges Urtheil über Theramenes auf einen Theil seiner Quellen. Ein gleiches Urtheil finden wir bei Ephoros, dessen Griechische Geschichte vor der Schrift vom Staate der Athener verfasst worden ist. Wer es zuerst wagte, Theramenes in Schutz zu nehmen, besass sicherlich eine stark ausgeprägte Individualität. Wer aber eine so subjective Ansicht sich ohne eigene Denkarbeit aneignete, war ein unselbständiger Geist.

Wenn eine wissenschaftliche Meinung mit so unsicheren Erwägungen vertheidigt wird, wie die zuletzt besprochenen sind, so ist das ein deutliches Anzeichen, dass ihr eine feste Stütze fehlt. Und so gewinnen wir aus dem Streite um die Echtheit der Schrift vom Staate der Athener das befreiende Bewusstsein, dass wir vorläufig nicht verpflichtet sind, die Mängel dieser Schrift Aristoteles zur Last zu legen. Wir erhalten das Recht, uns nach einer zuverlässigeren Quelle umzusehen, um aus ihr unsere Kenntniss von den historischen Studien des Philosophen zu schöpfen. Eine solche Quelle finden wir in den acht Büchern vom Staate, deren Echtheit über jeden Zweifel erhaben ist.


III.

Niemand kann ein theoretisches Buch über Politik schreiben, ohne eine Probe abzulegen, was er an historischen Kenntnissen

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_014.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)