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Verfassungen, Seemacht und extreme Demokratie sich wechselseitig bedingen[1]. Noch mehr aber beschäftigt den Philosophen der Zusammenhang der politischen und der wirthschaftlichen Zustände. Dieselbe Verfassungsschablone allen Staaten aufzwingen zu wollen, hält er vornehmlich desshalb für verfehlt, weil das wirthschaftliche Leben in den verschiedenen Landschaften je nach der Bodenbeschaffenheit und den Verkehrsbedingungen ein anderes ist, und weil eine andere Volkswirthschaft auch eine andere Verfassung verlangt[2]. In den politischen Parteien sieht er wirthschaftliche Interessengruppen[3]. Die Oligarchen sind ihm gleichbedeutend mit den Wohlhabenden. Grossgrundbesitzer, Grossindustrielle und Grosskaufleute unterscheidet er hierbei nicht, da das grosse Kapital und der Grossgrundbesitz in denselben Händen vereinigt waren. Dagegen werden innerhalb der nicht begüterten Bevölkerung die Bauern und Hirten, die Krämer, Handwerker und Tagelöhner scharf gesondert. Mit Vorliebe untersucht Aristoteles, wie die Verschiedenheit des Erwerbes im politischen Leben zum Ausdrucke kommt.

Als das gesundeste Element der Bevölkerung betrachtet er die Bauern. Eine Demokratie, in welcher die Bauern und mässig Begüterten den Ausschlag geben, bleibt in gesetzlichen Bahnen. Denn diese haben zu leben, so lange sie arbeiten, aber keine Zeit, sich irgend der Musse hinzugeben. Daher halten sie nicht mehr Volksversammlungen ab, als dringend nöthig ist, und lassen dem Gesetze freien Lauf. Wer von politischen Rechten ausgeschlossen ist, kann immer darauf rechnen, Antheil an der Regierung zu erlangen, sobald er das erforderliche Minimum an Vermögen erworben hat; er braucht also nicht eine Aenderung der Verfassung zu wünschen[4]. Da sich aus dem Bauernstande in erster Linie des schwere Fussvolk recrutirt[5], so vereinigen sich das wirthschaftliche und das militärische Moment, um einer bäuerlichen Demokratie einen gemässigten und conservativen Charakter zu geben. Das Uebergewicht der Bauern erscheint Aristoteles so werthvoll, dass er es für gerechtfertigt hält, die Mehrzahl der Bevölkerung durch gesetzlichen Zwang bei der

  1. VI, 1321 a; vgl. IV, 1289 b 37.
  2. VI, 1317 a 20 ff.
  3. IV, 1291 a; vgl. 1291 b 15 ff.
  4. IV, 1295 b 25 ff.
  5. IV, 1291 a 31; 32. Eine Einschränkung erfährt diese Stelle durch IV, 1291 b 4.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_021.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)