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in Athen wurden diese Schranken von der regierenden Menge durchbrochen[1]. Wesshalb das geschehen musste, auf diese Frage bleibt Aristoteles die Antwort nicht schuldig.

Unbestechliches Urtheil rühmt er an einer gewissen Menge oder Mehrheit[2]. Was aber von einer solchen gesagt ist, gilt nicht ohne Weiteres von jeder beliebigen Menge. Wie er sich jene „gewisse Menge“, die er für urtheilsfähig hält, zusammengesetzt denkt, darüber lässt uns Aristoteles nicht im Zweifel. Er findet Wahl und Entlastung der Beamten durch die Menge nur in dem Falle zweckmässig, dass die Menge nicht zu knechtisch ist[3]. Und dass er die ihm bekannten Mengen im allgemeinen für zu knechtisch hält, geht aus anderen Aeusserungen deutlich hervor. Auch über poetische und musikalische Kunstwerke traut er der Menge principiell ein besseres Urtheil zu als Einzelnen[4]. Und doch findet er in anderem Zusammenhange, dass die Masse der Zuschauer die Künstler durch ihren schlechten Geschmack verderbe und zu einer handwerksmässigen Ausübung

  1. IV, 1293 a. „Die vierte Art der Demokratie ist die, welche sich der Zeit nach zuletzt in den Städten entwickelt hat. Denn da die Städte bedeutend über ihre ursprüngliche Bürgerzahl hinauswuchsen und einen Ueberschuss an Einkünften und Vermögen erzielten, ist es dahin gekommen, dass alle nicht allein zur Betheiligung an der Regierung berechtigt sind wegen des Uebergewichts der Menge, sondern auch thatsächlichen Antheil an der Regierung nehmen, da auch die Unbemittelten durch den ihnen gezahlten Sold in Stand gesetzt werden, Zeit für öffentliche Angelegenheiten zu erübrigen. Und gerade eine solche Menge hat am meisten freie Zeit. Denn die Sorge für ihre Privatangelegenheiten beschwert sie durchaus nicht, während die Reichen durch ihre Geschäfte mehrfach verhindert werden, ihren Platz in der Volksversammlung oder im Gericht einzunehmen. Desshalb wird statt der Gesetze die Masse der Unbemittelten Herr des Staates.“ Vgl. IV, 1298 a 30. „Die vierte Art ist die, dass alles in allgemeinen Versammlungen berathen wird, während die Beamten nichts entscheiden, sondern nur eine Voruntersuchung zu führen haben. Auf diese Art wird jetzt die extreme Demokratie verwaltet, der nach unserer Ansicht unter den Oligarchien das Regiment der Clique, unter den Monarchien die Tyrannis entspricht.“ Der letzte Schritt auf dem hier von Aristoteles bezeichneten Wege war der, dass der Rath seine richterlichen Competenzen an die Volksgerichte verlor. Eben dieser Schritt wird, wie ich S. 9 und S. 24 hervorgehoben habe, in der Schrift vom Staate der Athener gebilligt.
  2. τι πλῆθος III, 1281 b 20.
  3. III, 1282 a 16.
  4. III, 1281 b 8.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_025.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)