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ihrer Kunst verleite[1]. Kunstverständig sind nach seiner Ansicht die wahrhaft freien und gebildeten Männer; einen rohen Geschmack dagegen haben Handwerker, Tagelöhner und ähnliche Leute, welche, da ihren Seelen das natürliche Gleichgewicht und Ebenmass fehlt, auch schreiende und unnatürliche Melodien verlangen.

Der Stand der Handwerker und Tagelöhner, also die niedere städtische Bevölkerung, wird von der urtheilsfähigen Menge ausdrücklich ausgeschlossen. In einem Staate, der nach Aristotelischen Principien eingerichtet wäre, würden sie nicht als Bürger, sondern als Sklaven leben und an allen den Rechten, die der Bürgerschaft zustehen, keinen Antheil haben. Eben diese Volksclasse aber bildete in den Athenischen Gerichten die Mehrheit. Wenn mithin der Verfasser der Schrift vom Staate der Athener auf diese Mehrheit anwendet, was Aristoteles von seiner auserlesenen Mehrheit rühmt, so hat er den Philosophen missverstanden. Dadurch gewinnen wir ein doppelt erfreuliches Ergebniss. Einerseits ist Aristoteles von dem Vorwurfe befreit, er habe einen Widerspruch zwischen seiner Theorie und den von ihm selbst beobachteten Thatsachen nicht bemerkt. Und andererseits ist er endgültig gegen den Verdacht gesichert, eine Schrift geschrieben zu haben, welche seines sonst bewährten historischen Sinnes unwürdig wäre. Denn der Verfasser dieser Schrift hat ihn missverstanden[2].

  1. VIII, 1341 b 15.
  2. Dass der Verfasser der Schrift vom Staate der Athener sich mit Aristoteles im Widerspruch befindet, wenn er die Allmacht der Volksgerichte billigt, habe ich in der Schrift: „Hat Aristoteles die Schrift vom Staate der Athener geschrieben?“ nachgewiesen, und alles, was dagegen vorgebracht ist, hat an der Gültigkeit dieses Nachweises nichts geändert. Aber das Constatiren einer Thatsache muss überall in der Wissenschaft getrennt werden von der Frage, wie die Entstehung dieser Thatsache zu erklären sei, d. h. in unserem Falle, wie es komme, dass ein Schriftsteller, der sich in Ausdruck und Gedanken so vielfach von Aristoteles abhängig zeigt, doch eine politische Ansicht vertritt, welche der des Aristoteles widerspricht. In diesem zweiten Punkte hatte ich damals das Richtige nicht getroffen, da ich vermuthete, der Verfasser habe sein Werkchen unter dem Drucke eines demokratischen Terrorismus veröffentlicht. Indem meine Gegner – mit Recht – diese Erklärung bekämpften, meinten sie – mit Unrecht, aber durch eine begreifliche Selbsttäuschung – zugleich auch die von mir nachgewiesene Thatsache wegzuräumen, die erklärt werden sollte. Statt
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_026.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)