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Tage des Mai hinzugerechnet, gefallen ist. So wie wir nun die Lage der Herzogin kennen gelernt haben, begreifen wir, dass der Besuch kaum in eine für seine Wünsche und Bestrebungen ungünstigere Zeit hat treffen können.

Aber nicht bloss in die Lage, sondern auch in die Gesinnung Renata’s haben wir einen Einblick gewonnen. Wir werden uns nicht auf die Seite ihrer Französischen Freunde stellen und sie für eine Heilige in katholischem Sinne halten. Ihre Sorge für die verfolgten Ketzer verräth vielmehr etwas von jener Sinnesart, die man auf Calvin’s Seite Frömmigkeit nennt. In dieser Auffassung bestärken uns die Gedichte, die Marot damals, um ihr zu huldigen, geschrieben hat, in welchen er sie als Renata, d. h. die zweimal Geborene, feiert, das eine Mal Kind eines Königs durch die Geburt, das andere Mal Kind des Himmels durch die Erkenntniss des Erlösers:

Enfant de roy par sa naissance,
enfant du ciel par connoissance
de celuy qui la saulvera –[1],

oder das Kind, das Renata zur Welt bringen wird, im Voraus begrüsst und einlädt, den Kampf und Sieg der neu offenbarten Wahrheit zu schauen:

     Viens donc, petit enfant,
Viens escouter verite revelee
qui tant de jours nous a este cellee!
Viens escouter pour l’ame resjouir,
ce que caffars veulent garder d’ouyr.
Viens veoyr, viens veoyr la beste sans rayson
grand ennemye de ta noble maison.
Viens tost la veoir atout sa triple creste,
non cheute encore, mais de tomber bien preste!
Viens veoir de Christ le regne commence
et son honneur par torment avance![2]

Also eine gewisse Sympathie für die religiöse Bewegung ist bei ihr vorhanden. Daneben aber bewahrt sie, wie wir gesehen haben, eine correcte kirchliche Haltung. Noch mehr: gerade damals bemüht sie sich um die Gunst des Papstes, deren sie bedarf, indem sie versichert, dass sie seine ergebene Tochter ist

  1. Oeuvres de Clément Marot, par B. Saint-Marc. II, 56.
  2. Oeuvres de Marot, édition Guiffrey II, 278, angeführt von Herminjard, Correspondance VI, 152.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_216.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)