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auszusöhnen, wenn keine Aussicht vorhanden ist, dass die letzteren auch förmlich zur Religion der Besiegten übertreten: Ich verweise in dieser Hinsicht nur auf das hochtragische Geschick des grossen Ostgothenkönigs Theoderich, der bei aller liebevollen Fürsorge für seine Romanischen Unterthanen ausser Stande war, der heissen Sehnsucht der letzteren, dem Byzantinischen Reiche einverleibt zu werden, ein Paroli zu bieten[1].

Gewiss ist auch die nationale Abneigung z. B. der Romanischen Bevölkerung des Westgothischen Reiches nicht zu unterschätzen. So lange noch ein occidentalischer Kaiser existirt oder auch nur Syagrius als Vertreter des Römerthums auftritt, äussert sich das Nationalgefühl der Galloromanen äusserst lebhaft, wie dies u. A. aus manchen Briefen des Sidonius Apollinaris erhellt. Aber seit der Bekehrung des mächtigen Frankenkönigs Chlodwig (496) fallen diesem zwar barbarischen, aber immerhin katholischen Fürsten die Sympathien der Mittel- und Südgallischen Romanen zu, die seitdem auf’s eifrigste bemüht sind, das Joch der ketzerischen Gothen abzuschütteln und Fränkische Unterthanen zu werden, so dass die wenigen strengen Massregeln des Königs Alarich II. gar nicht als Verfolgungsacte, sondern nur als berechtigte Nothwehr des Staates gelten können[2]. Weiter unten werden wir noch sehen, wie ketzerische Kaiser von Byzanz, weil der Sympathien der abendländischen Katholiken ermangelnd, höchst ungefährliche Widersacher der Arianischen Germanenfürsten sind, wie die Reiche der letzteren aber sofort wieder durch das geheime Bündniss der orthodoxen Bevölkerungen mit Byzanz in ihrer Existenz bedroht werden, sobald das Oströmische Reich wieder einen orthodoxen Kaiser hat, der den Frieden mit der päpstlichen Curie, mit der abendländischen Kirche wieder herstellt.

Nach dem Gesagten wird man es begreiflich finden, dass in Folge des politischen und religiösen Gegensatzes, und zumal des

  1. S. die treffliche Darlegung dieser Verhältnisse bei Felix Dahn, Könige II p. 166–175; III p. 187 ff. und meine Erörterungen in Fleckeisen’s Jahrbüchern 1875, Heft III p. 210 ff., 219–221.
  2. Vgl. Grey, Tur. hist. Franc. II c. 36. 37 und das Nähere in meinem in den Theolog. Studien u. Kritiken 1893, S. 708–734 erschienenen Aufsatz „Kirche und Staat im Westgothenreich von Eurich bis Leovigild, 466–567/69.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_016.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)