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ich selbe gründe, und bin weit entfernt, Schlüsse daraus zu ziehen, welche die Folge der Begebenheiten leicht umstossen könnte. Ich beschränke mich auf das, was uns jetzt vor Augen liegt.

Es ist unmöglich, sich nicht zu fragen, durch welchen sonderbaren Zusammenfluss von Umständen die Baierische Regierung so schnell von der Linie, auf welcher sie vor kurzer Zeit noch stand, und welche behaupten zu wollen sie fest entschlossen schien, verdrängt werden konnte. Der Geist, der sich vom ersten Augenblicke an in der Deputirtenkammer offenbart, die Grundsätze, die man aufstellt, der Ton, in welchem man sie angekündigt hat, das alles musste in einem so wohl geordneten, so wohl disciplinirten Staate selbst den, der die Zeit und ihre Gefahren kennt, befremden. Mir wenigstens, ich bekenne es frei, waren diese Symptome in Baiern unerwartet. Ich suche sie mir selbst zu erklären; ich suche zu erforschen, was dieser kaum aus der Wiege hervorgegangenen Volksrepräsentation den Muth einflössen konnte, da anzufangen, wo andere ihres gleichen zu endigen pflegen. Nur in diesem Sinne, nicht als voreilige oder absprechende Kritik bitte ich diese Bemerkungen zu würdigen.

1. Der Baierischen Verfassungsurkunde selbst lege ich wenig oder gar keinen Antheil an den in der Deputirtenkammer vorgefallenen und ferner vorauszusehenden Auftritten zur Last. Nach meiner innigsten und unwandelbaren Ueberzeugung ist jede geschriebene, von Menschenhänden aus einem Wurfe gegossene Constitution ein gebrechliches, unsicheres, gewagtes und gefahrvolles Werk. Dies vorausgesetzt, war die Baierische Constitution unstreitig eine der besseren, die ein bis dahin nur durch Gesetze, seine eigenen und seiner Väter Gesetze, beschränkter Monarch einem aus ungleichartigen Bestandtheilen erwachsenen Staate verleihen konnte. Selbst der Theil der Urkunde, der mir gleich anfangs der bedenklichste schien, der viel zu abstracte, den Lieblingsideen des Zeitalters viel zu sehr schmeichelnde Eingang war wenigstens in so vorsichtig gehaltenen Worten abgefasst, dass mit einiger Geschicklichkeit in der Auslegung und einiger Festigkeit in der Anwendung dem von einer solchen Tafel der Bürgerrechte ein für allemal unzertrennlichen Missbrauch noch wirksam genug hatte vorgebeugt werden können. Auch die der Verfassungsurkunde einverleibten Edicte, über welche ich mir ohnehin, da sie grossentheils auf Localverhältnissen beruhen, kein strenges Urtheil erlauben dürfte, schienen mir im ganzen, wenn auch nicht fehlerfrei, doch zweckmässig und von vielen Seiten löblich.

2. Der erste grosse Keim der Uebels lag nach meiner Ansicht darin, dass die Regierung auf die Wahl der ständischen Deputirten keinen bestimmten und entscheidenden Einfluss nahm, vielmehr, wie

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_333.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2023)