Seite:De DZfG 1894 11 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der grausame König geplant, den rechtzeitig des Himmels Strafgericht getroffen habe[1].

So hat die orthodoxe Geschichtsschreibung, indem sie Massregeln der Nothwehr als Acte brutaler[2] Grausamkeit darstellte, die Wahrheit gefälscht und das Andenken des grossen Mannes entstellt. Nach dem Anonymus Valesianus erscheint Theoderich geradezu als der Mörder[3] des Boethius, letzterer als ein Opfer despotischer Verfolgungssucht. Glücklicherweise erfahren wir aus der consolatio des Boethius selbst, dass der knechtische Senat es war, welcher aus feiger Angst für die eigene Existenz seinen Vorkämpfer im Stich liess und ihn ungehört zum Tode verurtheilte. Der unbarmherzige König milderte zunächst das Urtheil in Verbannung und Gefängniss. Erst später, als die Opposition kühner ihr Haupt erhob, als Boethius auch im Gefängnisse nicht schwieg, sondern seinem Groll in gehässiger Weise Luft machte, liess er es vollstrecken[4] und auch den Symmachus, den Schwiegervater des Boethius, der während des langen Aufenthalts des Papstes Johannes über den Tod des Eidams laut gemurrt hatte, mit dem Tode bestrafen[5].

Auch Papst Johannes konnte keines natürlichen Todes gestorben sein, auch in ihm sah man ein Opfer des Tyrannen. Schon die Erzählung des Anonymus Valesianus konnte den Verdacht erwecken, dass Johannes in Folge schlechter Behandlung im Kerker gestorben sei[6], und Paulus Diaconus schreibt in seiner Römischen Geschichte geradezu carceris afflictione peremit (sc. Theodericus Johannem)[7]. Spätere, vielleicht auch schon ein gleichzeitiges Gerücht, müssen sogar vom Hungertode des Märtyrers gefabelt haben, denn die mittelalterlichen Chroniken erzählen mit geringen Abweichungen, aber inhaltlich übereinstimmend: carceri eos mancipavit (den Johannes und seine Gefährten) et

  1. Anon. Val. 94, 95: sed qui non patitur fideles cultores suos ab alienigenis opprimi, mox intulit in eum sententiam Arii, auctoris religionis eius: fluxum ventris incurrit, et dum intra triduo evacuatus fuisset, eodem die, quo se gaudebat ecclesias invadere, simul regnum et animam amisit.
  2. Anon. Val. 88: confidens in bracchio suo.
  3. Anon. Val. 86 u. 87.
  4. Boeth. de consol. I, 4; vgl. Dahn, Könige II S. 173.
  5. Anon. Val. 92.
  6. Anon. Val. 93. – An der Bahre des Märtyrers geschah ein Wunder.
  7. Paul. Diac. hist. Rom. XVI, 10.
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_023.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)